Zikadenkönigin
Seiten der Synthesis militärische Aktionen provozieren. Und wenn wir gezwungen sind, zu den Waffen zu greifen, wird unser zerbrechliches Bündnis sofort zerfallen. Wir können uns die Wiederaufrüstung nicht leisten, Eugene. Wir können uns das Mißtrauen nicht leisten. Wir brauchen alles, was wir haben, um gegen die ökologische Katastrophe zu kämpfen. Der Meeresspiegel steigt immer noch.«
Der Spitzel nickte. »Sie wollen sie destabilisieren. Sie wollen ihr Paradigma als unhaltbar darstellen. Sie wollen eine kognitive Dissonanz erzeugen, die sie von innen auseinanderbrechen läßt.«
»Genau«, sagte der Sicherheitschef. »Sie sind ein erfahrener Agent. Nehmen Sie sie auseinander.«
Der Spitzel sagte vorsichtig: »Und falls ich es für nötig halte, verbotene Waffen zu benutzen …?«
Der Sicherheitschef erbleichte, dann biß er die Zähne zusammen und sagte tapfer: »In diesem Fall darf Ihr Einsatz nicht mit Replicon in Verbindung gebracht werden.«
Der kleine, mit Solarenergie getriebene Zeppelin brauchte für die Fahrt von den Deichen Washingtons bis zum heißen Golf von Honduras vier Tage. Der Spitzel fuhr allein, die Kabine war versiegelt. Den größten Teil der Reise verbrachte er halb betäubt, und das beständige Flüstern seines Computers übernahm die Funktion bewußter Gedanken.
Schließlich gelangte der Zeppelin, seiner Programmierung folgend, zu einem tropischen, von Wellen umspülten Mangrovenwald in der Nähe des Hafens von New Belize. Der Spitzel hatte sich an einem Kabel zu einem festen Fleck in der aufgewühlten Erde nahe der Docks hinabgelassen. Er winkte der Besatzung eines Dreimastschoners fröhlich zu, deren nachmittägliche Siesta von seiner fast lautlosen Ankunft gestört worden war.
Es tat gut, wieder unter Menschen zu sein. Nach vier Tagen nur mit seinem zerstückelten Selbst als Gesellschaft brannte der Spitzel darauf, wieder Menschen zu sehen.
Es war unerträglich heiß. Auf dem Kai standen Holzkisten mit Bananen, die unter starker Geruchsentwicklung ihrer Zersetzung entgegenreiften.
New Belize war eine armselige kleine Stadt. Ihre Vorgängerin, Old Belize, lag ein paar Meilen draußen unter dem Wasser der Karibik, und New Belize war hastig aus den Überbleibseln zusammengestückelt worden. Das Stadtzentrum bestand im Grunde nur aus einem Fertigbau-Geodom, der für die Bauweise der ausländischen Niederlassungen von Synthesis typisch war. Der Rest der Stadt, selbst die Kirche, drängte sich um den Rand der Kuppel wie die Hütten der Dorfbewohner um eine mittelalterliche Burg. Wenn und falls das Meer weiter stieg, konnte die Kuppel leicht versetzt werden, während die anderen Gebäude wie ihre Vorgänger untergehen würden.
Abgesehen von den Hunden und Fliegen schlief die Stadt. Der Spitzel tappte über einen verschlammten Bohlenweg. Eine Halbindianerin mit einem verfilzten Schal hatte neben einer Luftschleuse der Kuppel ihren Metzgereistand aufgebaut. Sie beobachtete ihn, während sie mit einem Palmenblatt die Fliegen von einer aufgehängten blutigen Schweinehälfte scheuchte. Als ihre Blicke sich trafen, fuhr die Erkenntnis ihres dumpfen Elends und ihrer Unwissenheit durch ihn, als wäre er auf einen Zitteraal getreten. Es war verrückt und stark und neu, und ihr abgestumpfter Schmerz bedeutete ihm außer der Neuheit dieses Erlebnisses nichts; er konnte sich gerade noch zurückhalten, über die schmutzige Theke zu springen und sie zu umarmen. Er wollte seine Hände unter ihre lange Baumwollbluse schieben und seine Zunge in ihren faltigen Mund drücken; er wollte unter ihre Haut vordringen und sie abschälen wie eine Schlangenhaut … Mann! Er schüttelte sich und ging durch die Schleuse hinein.
Drinnen roch es nach Synthesis, nach komprimierter Luft und Tang wie in einer Taucherglocke. Es war keine große Kuppel, aber die moderne Informationstechnik beanspruchte nicht viel Platz. Die untere Etage der Kuppel beherbergte die üblichen Büros mit ihren Tastaturen, Stimmdecodern, Translatoren, Videoschirmen und Kommunikationsanlagen für Satelliten und elektronische Post. Das Personal aß und schlief im ersten Stock. In dieser Niederlassung waren die meisten Mitarbeiter Japaner.
Der Spion wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte einen Sekretär auf japanisch, wo er Dr. Emilio Flores finden könne.
Flores betrieb eine halb unabhängige Gesundheitsfarm, die er geschickt der Kontrolle von Synthesis entzog. Der Spitzel wurde aufgefordert, im Wartezimmer des Arztes
Weitere Kostenlose Bücher