Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
sie noch am Leben. Er inhalierte tief. Ja, sie war selber
schuld. Seine Finger krampften sich um das Lenkrad, und etwas Asche fiel auf den
Boden. Erschrocken machte er eine unbedachte Bewegung. Sie führte dazu, dass er
beinahe den Wagen neben sich gerammt hätte. Ärgerlich fluchte er vor sich hin. Sie
hatte ihn in etwas hinein getrieben, was vor kurzem noch undenkbar gewesen wäre.
Er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
Vor ihm
gab es einen Stau, und er fuhr direkt hinein. Auch das noch. Als müsste er nicht
schon genug aushalten momentan.
Nochmals
sagte er sich, dass ihr Tod alles in allem eine unvermeidliche Angelegenheit gewesen
war. Die Waffe würde niemand finden, er hatte sie gut versteckt, dort, wo kein Mensch
sie vermuten würde.
Am Morgen
danach hatte er wie gewöhnlich gefrühstückt und er hatte sich sogar in aller Ruhe
eigenhändig einen Orangensaft gepresst. Anschließend war er ins Büro gefahren und
hatte wie jeden Tag seine Arbeit erledigt. Er hatte telefoniert, seiner Sekretärin
Briefe diktiert und in Sitzungen wichtige Dinge von sich gegeben, mittags war er
wie immer mit seinen Kollegen essen gegangen. Nervös zog er an seiner Zigarette
und sagte sich, dass er sich bald einmal wieder richtig entspannen sollte. In wenigen
Wochen wurde es Herbst, dann würde er sich ein verlängertes Wochenende mit seinen
Jagdfreunden gönnen.
Er schaute
auf die Uhr und überlegte, wo er noch hinfahren könnte. Auf die andere Rheinseite
vielleicht? Aber vorher müsste der Stau sich auflösen, sonst würde es zu spät werden.
Er strich
sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn, noch immer spürte er diese Wut in sich.
Sie hatte ihm das alles eingebrockt. Ein Blick auf die digitale Temperaturanzeige
auf dem Armaturenbrett klärte ihn darüber auf, dass es draußen 35 Grad heiß war.
Sollte er noch einmal zum Decksteiner Weiher fahren? Dorthin, wo sie ihr
Leben ausgeröchelt hatte? Plötzlich kamen ihm Zweifel. Besser nicht, sagte er sich.
Mörder kehren oft an den Tatort zurück, und jetzt gilt das auch für mich. Vielleicht
würde das Gebiet von der Kripo überwacht. Während er darüber nachdachte, ob er das
Risiko eingehen konnte, nahm er aus dem Augenwinkel wahr, dass eine Katze von rechts
auf die Fahrbahn lief. Sie war orange-weißgestreift, duckte sich zwischen den Autos,
blieb unter einem sitzen, schoss dann aber schnell wieder hervor, um unter einem
anderen zu verschwinden. Zunächst gelangweilt, dann immer interessierter, verfolgte
er ihre Manöver.
Würde sie
den Zickzackkurs unter den Autos unbeschadet überstehen? Der Wagen vor ihm fuhr
an. Er reckte den Hals. Wo war sie jetzt? Hinter ihm begann es zu hupen. Die sollen
sich nicht so anstellen, dachte er und machte ärgerlich vor dem Rückspiegel Zeichen.
Dabei bemerkte er, dass sein Gesicht rot geworden war. Fluchend wandte er den Blick
wieder auf die Straße. Da war sie wieder. Direkt vor ihm tauchte sie auf. Ohne zu
überlegen, drückte er aufs Gaspedal. Sein Wagen schoss nach vorn. Er spürte einen
dumpfen Aufprall, dann hörte er einen hohen Schrei. Ein zufriedenes, kaum wahrnehmbares
Lächeln spielte um seine Lippen.
Er fuhr
das Fenster hoch, stellte die Klimaanlage an, und dann fuhr er langsam weiter.
Freitag, 08. Juli
Die große Trauerhalle auf dem Friedhof
Melaten war voll besetzt. Es waren unzählige Trauergäste gekommen, um Sabrina die
letzte Ehre zu erweisen. Florian stand nicht weit vom Eingang entfernt und ließ
die Blicke über die Stuhlreihen schweifen. Ganz vorn, zwischen Blumengestecken und
einem Stehpult, war ihr Sarg aufgebahrt, er war über und über mit weißen Rosen geschmückt.
Ohne es zu wollen, sah er sie vor sich, wie sie mit entstelltem Gesicht unter dem
Sargdeckel lag. Wer hatte das verbrochen? Laut Eddie, der ihn gestern endlich zurückgerufen
hatte, hatte die Kripo immer noch keine Anhaltspunkte.
Er erkannte
ihre jüngere Schwester Lisa, die in der ersten Reihe saß, und deren Profil dem von
Sabrina so sehr ähnelte: Das gleiche hellblonde Haar, die gleiche Adlernase und
das gleiche kräftige Kinn, das von der Durchsetzungsfähigkeit ihrer Trägerin zeugte.
Damals, als er noch mit Sabrina zusammen gewesen war, war sie hin und wieder übers
Wochenende nach Köln gekommen, sie hatte in Berlin Architektur studiert, aber da
die Schwestern ein gutes Verhältnis zueinander gehabt hatten, war sie auf vielen
Kölner Partys dabei gewesen. Florian hatte sie immer gemocht. Sie war unkompliziert
und fröhlich
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