Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
Vom Netzwerk:
Hände gestreichelt und ihnen über den Kopf gestrichen, und so manchem
hatte sie, wenn alles vorbei und der letzte Atemzug getan war, die Augen zugedrückt.
Immer aber hatte sie für ihre Seelen eine Kerze angezündet, und sie hatte bei den
Toten gewacht, bis die Kerzen heruntergebrannt und ihre Seelen durchs geöffnete
Fenster davon geflogen waren.
    Dele lehnte
den Kopf an den Stamm der alten Eiche. Das harte, rissige Holz erinnerte sie daran,
wie wund sie in ihrem Innersten war. Sie seufzte, dann straffte sie sich und trat
aus dem Schatten des Baumes.
    Luz würde
heute nicht mehr kommen.

Sonntag, 10. Juli
     
    Sie hatte ihn überredet, früh aufzustehen
und einen Ausflug in die Eifel zu unternehmen, denn sie war der Meinung gewesen,
dass sie Zicke auch heute nicht finden würden und ein wenig Abwechslung und Abstand
zu Köln ihnen beiden gut täte. Jana hatte den Wecker auf 7 Uhr gestellt, ein paar
Brötchen geschmiert und dann darauf bestanden, dass er rasch noch am Büdchen hielt,
um eine Sonntagszeitung zu kaufen. Das Navi op Kölsch in seinem Carsharing-Wagen
hatten sie angestellt, nicht weil sie den Weg sonst nicht gefunden hätten, sondern
weil die kölschen Stimmen von Gigi Herr, der Nichte der Köln-Legende Trude Herr,
und Gerd Köster, dem Sänger und Schauspieler, sie immer in gute Laune versetzten.
Als Florian das Ziel einprogrammiert hatte, tönte es: »Biste so jot, fährste de
Rout«, und unwillkürlich mussten beide lachen. Kurz vor Bonn, als sie Richtung Altenahr
die Autobahn wechseln mussten, hieß es: »Kannst wigger fahre … jeradeus un links
heröm.« Mit launigen Sprüchen wurden sie Richtung Kesseling geführt, von wo aus
es in steilen Serpentinen zum Steiner Berghaus hinauf ging, und nun lagen
sie träge und zufrieden auf einem Hochplateau nicht weit vom Gasthaus entfernt auf
einer Decke im Gras. Die Brötchen hatten sie alle vertilgt, den Kaffee aus der Thermoskanne
bis auf den letzten Tropfen getrunken und dann hatten sie ausgiebig Zeitung gelesen.
    Florians
Blick wanderte hinüber zu Jana, die auf dem Rücken neben ihm lag, und er dachte,
dass sie so schön war wie der Himmel blau. Die weiße Sommerbluse, die sie trug,
verlieh ihr ein unschuldiges, mädchenhaftes Aussehen, und da sie auf jegliches Make-up
wie auch auf ihr Parfum verzichtet hatte, hatte er das Gefühl, ganz und gar in der
Natur angekommen zu sein. Das Hochplateau war von Wacholderbüschen, Zedern und Eichen
umsäumt, und Florian sog den ätherischen Duft der Nadeln tief in seine Lungenspitzen.
Beinahe kam er sich vor wie in einem Traum und er dachte: In Köln ist die Wirklichkeit,
aber nicht hier. Ein paar Verszeilen von Rainer Maria Rilke aus dem Buch der
Bilder kamen ihm in den Sinn:
    Leben ist
nur ein Teil … Wovon?
    Leben ist
nur ein Ton … Worin?
    Leben hat
Sinn nur, verbunden mit vielen
    Kreisen
des weithin wachsenden Raumes, –
    Leben ist
so nur der Traum eines Traumes,
    aber Wachsein
ist anderswo.
     
    Doch wo? Während er träge darüber
nachsann, brummte Florian vor Zufriedenheit leise vor sich hin, und er öffnete die
Augen auch nicht, als Jana seinen Arm mit einem Grashalm kitzelte. Nach einer Weile
fragte sie: »Wann hast du das nächste Mal eigentlich wieder Therapie?«
    Die Frage
traf ihn wie ein Schwall kalten Wassers. »Ist das so wichtig?«, murmelte er, und
obwohl er innerlich in Habacht-Stellung ging, blieben seine Augen geschlossen. Das
Kitzeln auf seinem Arm hörte auf.
    »Ich finde,
ja. Vielleicht denkst du noch einmal darüber nach, worüber wir vorgestern gesprochen
haben.«
    Florian
wusste genau, was sie meinte. Wie ein Tier, das die drohende Gefahr spürt, regte
er sich nicht, aber er registrierte, wie sie sich aufsetzte und er fragte sich,
warum die meisten Frauen es immer wieder schafften, die schönsten Augenblicke zu
zerstören, indem sie schwierige Themen aufs Tapet brachten. Musste das sein? Vorsichtig blinzelte er zu ihr hinüber. »Lass uns von etwas anderem reden, ja?«,
versuchte er die Herrlichkeit des Vormittags zu retten.
    »Es wäre
doch wirklich interessant zu wissen, was deine Therapeutin zu meiner Vermutung sagen
würde, dass du dich so lange nicht auf mich einlassen wirst, solange du nicht das
Verhältnis zu deinem Vater geklärt hast«, beharrte sie.
    »Ich bin
nicht mehr in Behandlung.« Florian öffnete beide Augen und setzte sich ebenfalls
auf. Kurz entschlossen und für Jana völlig überraschend umfasste er mit beiden Händen
ihren Kopf und drückte ihr einen Kuss auf

Weitere Kostenlose Bücher