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Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
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Richtung Zirkuszelt davon.

Sonnabend, 09. Juli, gegen Abend
     
    Dele fixierte die Eingangstür der
Villa, die auf einem großen, mit alten Bäumen bewachsenen Grundstück stand. Sie
presste sich an den Stamm der Eiche und achtete darauf, dass ihr Körper ganz mit
der Kontur des Stammes verschmolz. Sie stand schon eine halbe Stunde so. Dele seufzte.
Es schien, als würde sie kein Glück haben heute. Auch in den letzten Tagen hatte
Luz das Haus nicht allein verlassen, ständig war sie in Begleitung gewesen. Entweder
hatte sie ihren Vater an ihrer Seite gehabt oder eine Frau, von der sie inzwischen
wusste, dass es ihre Tante war. Vor Anspannung begann sie zu zittern. Langsam öffnete
sie den Beutel, zog vorsichtig die Armbanduhr heraus und sah, dass es bereits 18.30
Uhr war. Ihr Blick heftete sich auf die Brillanten, ihr Funkeln nahm sie jedes Mal
aufs Neue gefangen. Für einen Moment schloss sie die Augen, und wieder, wie so oft
in den letzten Tagen, bat sie nicht nur Gott, sondern auch Padre Paolo, der in ihrem
Heimatort für sie gebetet und dem sie so viel zu verdanken hatte, um Vergebung für
ihre Sünden. Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht …
    18.45 Uhr.
Dele schluckte. Es war ihr freier Abend, und wie gern wollte sie die freie Zeit
mit Luz verbringen, so wie sie es schon häufiger getan hatten. Wo blieb sie nur?
Normalerweise wurde sie gegen 18 Uhr doch noch einmal hinausgeschickt, um zu spielen.
    Beim ersten
Mal, als Dele mit ihr gesprochen hatte, hatte sie auf einer Decke gesessen und in Harry Potter gelesen, ohne auf ihre Annäherungsversuche zu reagieren, doch
nachdem sie, vom Haus nicht sichtbar, vor ihr mit bunten Bällen jongliert hatte,
war die Kleine fasziniert gewesen und hatte schon bald Vertrauen zu ihr gefasst.
Es hatte nicht lange gedauert, und sie hatten nach der Schule am Decksteiner
Weiher zusammen Enten gefüttert, und irgendwann hatte Dele sie mit in die Nachmittagsvorstellung
in den Zirkus genommen. Wie immer hatte Luz zu Hause erzählt, sie sei bei einer
Freundin gewesen.
    Gespannt
beobachtete sie die Haustür, aber sie blieb geschlossen. Wenn Luz jetzt heraus käme,
wovon würde sie ihr heute erzählen? Von den Maisfeldern bei Cobán? Von den Keramikschalen,
die sie geformt hatte, oder von Padre Paolo?
    Ihr Herz
begann bei dem Gedanken an das Mädchen schneller zu schlagen. Luz und sie waren
Freundinnen geworden. Sie aßen Schokolade zusammen, Dele nahm sie mit in den Zirkus,
in dem sie seit Wochen schon arbeitete, und gespannt lauschte das Mädchen ihren
Geschichten aus dem fremden Land, und es stellte Fragen. Dass sie sich trafen, hatte
bislang niemand bemerkt. Luz sagte immer, sie gehe zu einer Schulkameradin.
    Das bleibt
unser Geheimnis , hatte Dele zu ihr gesagt, und sie hatte ihr das Versprechen abgenommen,
keiner Menschenseele von ihren Treffen zu erzählen.
    Vielleicht
würde sie ihr ein paar Bälle schenken, sie hatte sie extra mitgebracht, und sie
fühlten sich rund und fest an in ihrer Hand. Vielleicht würde sie ihr ein paar Tricks
zeigen, ein wenig mit den Bällen jonglieren, das Mädchen damit zum Lachen bringen.
    Wo blieb
sie nur? Deles Blick wanderte unruhig umher. Hinter den Fenstern im Haus regte sich
nichts, alles war ruhig, und wenn nicht der Wagen des Hausherrn vor der Tür gestanden
hätte, wäre sie davon ausgegangen, dass niemand zu Hause war. Sie verlagerte ihr
Gewicht von einem Bein auf das andere und dachte an den Padre in Cobán, und unwillkürlich
faltete sie die Hände. Er hatte dafür gesorgt, dass sie hier sein konnte. Er hatte
sie Deutsch gelehrt, und er hatte so lange Spenden zusammengetragen, bis es schließlich
für das Flugticket reichte. Dele spürte, wie eine Träne ihre Wange hinunter rann.
Als Gegenleistung hatte sie ihm bei der Arbeit im Hospiz geholfen. Padre Paolo hatte
all den Menschen ein Dach über dem Kopf gegeben, die auf der Straße lebten und zu
arm waren, um sich ärztliche Hilfe zu holen oder in einem Krankenhausbett zu sterben.
Er hatte ein Hospiz für die von der Welt Vergessenen gebaut, und es war ein Ort
der Stille und der Gnade gewesen. Von Anfang an hatte sie tiefes Mitleid mit den
Menschen gespürt, die hierher kamen, und obwohl sie sich anfänglich überwinden musste,
den Schmutz an ihren Körpern, ihre Ausdünstungen und oft auch ihre wirren Reden
zu ertragen, hatte sie nach und nach gelernt, mit ihnen umzugehen. Sie hatte sie
gewaschen und abgetrocknet, sie hatte ihnen die Haare geschnitten und die Nägel.
Sie hatte ihre

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