Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
mir fällt, und ich werde
versuchen, mit Sabrinas Schwester zu reden. Außerdem nehme ich mir Marlies noch
einmal vor. Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger kann ich mir vorstellen,
dass sie nichts von Sabrinas Geliebtem gewusst haben soll. Beste Freundinnen erzählen
sich doch alles, oder?«
Jana nickte.
Mit einem Stück Zeitung fächelte sie sich Luft zu.
»Wer weiß,
was Marlies mir noch alles verschwiegen hat«, sagte Florian und fügte mit einem
müden Lächeln hinzu: »Ich wette, es ist einiges.«
Montag, 11. Juli, gegen Mittag
Ich habe absolut keine Lust auf
die Sendung, dachte Florian, und noch weniger Lust habe ich, mich mit dieser Rektorin
über ihre Eliteschule zu unterhalten. Schon einen Moment später ermahnte er sich
und sagte sich, dass er seine Arbeit bei Profi Entertainment nicht vernachlässigen
durfte, egal, wie sehr Sabrinas Schicksal ihn berührte und wieviel lieber er jetzt
zur Kinderschutzorganisation fahren würde, für die sie gearbeitet hatte. Die Jobs
in den Kölner TV-Produktionsfirmen waren heiß begehrt. Wenn er jetzt wegen Sabrina
nicht voll und ganz bei der Sache war und seine Chefin das mitbekam, würden ihm
am Ende auch die guten Beziehungen seiner Mutter zur Firma nicht viel nützen, und
Regine Liebermann würde ihn irgendwann einfach vor die Tür setzen. Er atmete tief
durch. Immerhin war er aus der Redaktionskonferenz, in der er seinen ersten Ablauf
über die Sendung Eliteschulen in Deutschland vorgestellt hatte, als Sieger
hervorgegangen. Curts offensichtlichem Missfallen zum Trotz hatte er sich mit seiner
Forderung, sechs Jugendliche im Publikum als jederzeit ansprechbare Talkpartner
zu platzieren, durchgesetzt. Auch war Regine bis auf ein paar Kleinigkeiten mit
dem Programm-Ablauf einverstanden gewesen, und Curt hatte mit den meisten seiner
Einwände allein dagestanden.
Florian
schöpfte ein zweites Mal tief Luft, dann klopfte er an die Tür. Susan Gayle, Leiterin
des Theodore Roosevelt Gymnasiums in Köln Lindenthal, saß hinter einem wuchtigen
Schreibtisch und lächelte ihn an. Ihr Mund war rot geschminkt, die Jacketkronen
blitzten, und ihre dunklen Haare waren kunstvoll gefönt. Je länger er sie betrachtete,
desto mehr gewann er den Eindruck, eine disziplinierte und sehr auf ihr Äußeres
bedachte Rektorin vor sich zu haben, die dem eigenen Anspruch an Vorbildlichkeit,
dem Kollegium wie auch den Schülern und deren Eltern gegenüber, bis ins kleinste
Detail gerecht zu werden versuchte.
Sie bot
ihm Kaffee und Plätzchen an und sie ließ sich viel Zeit, um seine Fragen zu beantworten.
Anschließend führte sie ihn mit unverhohlenem Stolz in dem Gebäude herum, das so
gepflegt wirkte wie sie selbst. Er besichtigte lichte, in sattem Grün gestrichene
Klassenzimmer, inspizierte Pausenhöfe, die von üppig blühenden Heckenrosen umgeben
waren, und er bewunderte die Aula, einen mit allen technischen Finessen ausgestatteten
Raum, der über modernste Bestuhlung, eine großzügige Bühne und eine ausgeklügelte
Lichttechnik verfügte. In dieser Schule machte alles einen exquisiten Eindruck.
Von den Wänden sahen mit klugem Blick amerikanische und deutsche Dichter und Denker
auf die Flure. Ein Porträt von Albert Einstein hing an der Wand, daneben Bilder
von Albert Schweitzer, Heinrich Böll, Martin Luther King, natürlich Theodore Roosevelt
und auch von Isaac B. Singer, dem polnisch-jiddisch-amerikanischen Literaturnobelpreisträger,
dessen Werke Florian allesamt in seinem Bücherregal stehen hatte.
Die Rektorin
hatte etwas an sich, das ihn irritierte. Er empfand ihre Freundlichkeit als allzu
glatt und er fragte sich, wie es unter der Oberfläche aussah. Der Perfektionismus
und die geballte Kompetenz, die sie mit aller Macht auszustrahlen versuchte, vermittelten
ihm ein leichtes Unbehagen.
»Was unterscheidet
Sie von anderen Gymnasien, außer dass Sie ein monatliches Schulgeld von 450 Euro
verlangen?«, fragte er und überlegte, ob sie ein geeigneter Talkgast für die Sendung
sein könnte. Telegen wirkte sie in jedem Fall.
»Der wesentliche
Unterschied ist, dass wir die Kinder zweisprachig unterrichten, deutsch und englisch,
und dass wir nur die allerbesten Lehrkräfte bei uns beschäftigen, Amerikaner wie
Deutsche.«
»Und Sie
nehmen auch nur die allerbesten Schüler? Also die aus allerbesten Verhältnissen
…«
Sie lehnte
sich auf ihrem Stuhl ein Stück vor und sagte spitz: »In Deutschland weiß doch jeder,
dass Chancengleichheit nur ein Wort auf
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