Zirkus Mortale: Kriminalroman (German Edition)
Briefe gelesen, die du Sabrina geschrieben hast«, sagte Jana unvermittelt.
Florian
hielt die Luft an, ein Tumult an Gefühlen wirbelte in ihm hoch. In diesem Moment
fehlten ihm die Worte. Einerseits spürte er den aufsteigenden Drang danach, laut
zu werden, sie wegen ihrer Neugier und dem damit einhergehenden Vertrauensbruch
zusammenzustauchen, andererseits schämte er sich über die vermutlich wehleidigen
Zeilen, die er Sabrina damals geschrieben hatte.
Er hatte
den Stapel Briefe, den Marlies ihm vor wenigen Wochen bei ihrem Gespräch im Tennisclub
übergeben hatte, zunächst ungelesen in der obersten Schublade seines Sekretärs deponiert,
dort wo sich auch der Stadtplan, die Busfahrkarten, seine Stifte und Schreibpapier
befanden. Im Grunde genommen war es nicht verwunderlich, dass Jana die Briefe entdeckt
hatte, und noch weniger erstaunlich war es, dass sie der Versuchung, sie zu lesen,
nicht hatte widerstehen können. Florian räusperte sich. Immerhin war sie so ehrlich
gewesen, es ihm zu sagen.
»Was hat
dir das Lesen gebracht?«, fragte er und bemühte sich um einen neutralen Tonfall.
»Eine ganze
Menge.« Jana sah ihn an und fügte mit leiser Stimme hinzu: »Ich habe einiges über
dich gelernt.«
»Ach …«
Er spielte mit dem Stil seines Glases. Eine feminine Geste, wie er bemerkte. Abrupt
setzte er das Glas auf der breiten Brüstung der Terrasse ab.
»Du musst
sehr unter der Trennung gelitten haben.«
»Stimmt,
aber das wusstest du schon vorher oder?«
»Wenn Sabrina
Sam nicht kennengelernt hätte, hättest du sie geheiratet. Das behauptest du jedenfalls
in einem deiner Briefe.« Aufmerksam sah sie ihn an und dann sagte sie: »Ich glaubte
immer, du wärst gegen feste Bindungen.«
»Das bin
ich im tiefsten Inneren auch.«
»Aber erst,
nachdem mit ihr Schluss war. Als ihr noch zusammen wart, wäre dies alles für dich
vorstellbar gewesen: Eine gemeinsame Wohnung, Heirat, Kinder …«
Florian
lachte, doch sein Lachen klang unsicher. »Wir wären sicher unglücklich geworden.«
Jana drehte
ihn zu sich herum und fixierte ihn. »Wovor hast du Angst, Florian?«
Der Mond
erhellte sein Gesicht. Er erwiderte nichts.
»Ich sage
dir, wovor du dich fürchtest.«
In diesem
Moment wurde ihm klar, was sie aussprechen würde, und er wusste, dass sie recht
hatte, aber er blieb stumm wie ein Fisch.
Jana holte
tief Luft. »Du fürchtest dich davor, dass ich dich verlassen könnte, so wie Sabrina
dich verlassen hat.« Sie hielt einen Moment inne und fügte hinzu: »So wie auch Katharina
dich verlassen hat.«
Florian
blinzelte.
»Du hast
Angst davor, mir zu nah zu sein.«
Er schwieg.
»Deine Angst
davor, noch einmal so enttäuscht zu werden wie damals, ist ungeheuer groß.«
In diesem
Moment begann er zu weinen.
Freitag, 22. Juli, morgens
Jana und Florian waren sehr spät
ins Bett gegangen. Noch lange hatten sie über sein früheres Verhältnis zu Sabrina
gesprochen, und als sie endlich, von den vielen Worten erschöpft, in die Laken gesunken
waren, hatte es keine fünf Minuten gedauert, und Jana war eingeschlafen. Im Gegensatz
zu ihm. Das Gespräch hatte ihn aufgewühlt, und als er sie im hellen Mondlicht vor
sich liegen sah, war sie ihm so zart und perfekt erschienen. Ihr ebenmäßiges Gesicht,
die hohen Wangenknochen, der gerade Körperbau, alles an ihr schien ohne Makel zu
sein, und was sie ihm gesagt hatte, war ihm klug und richtig erschienen. Sie hatte
ihn weder angeklagt noch war sie beleidigt gewesen, doch als er neben ihr lag, war
er sich auf einmal derb und unfähig vorgekommen. Noch lange hatte er an die Decke
gestarrt und nachgedacht.
Jetzt saßen
sie einander am Frühstückstisch in seiner Wohnung gegenüber. Er hatte die Jalousien
heruntergelassen, damit die Sonne die Butter, die neben Croissants und zwei Marmeladentöpfchen
auf dem Tisch stand, nicht schmolz, und die gleißenden Strahlen sie nicht blendeten.
Auf seinem Handy hatte er eine SMS von Sylvia Gerlach. Die Kommissarin bat ihn,
so schnell wie möglich mit Dele zu sprechen, denn Rössner hatte für die Lockvogelidee
grünes Licht erteilt.
Mit zufriedener
Miene schlürfte er seinen Kaffee und genehmigte sich eine extra Portion Orangenmarmelade,
die er dick auf sein Brötchen strich.
»Susan Gayle,
Mitinhaberin und Rektorin des privat geführten Roosevelt Gymnasiums , ist
also zu 50 % Inhaberin einer guatemaltekischen Adoptionsagentur, aber wer hält
die anderen 50 %?«, fragte Jana in seine Gedanken hinein. Ihre Lippen tauchten
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