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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Kommissar Patel sich damit abgefunden hatte, daß er Rahul nie finden würde,
lief in Bombay ein neuer und, wie vorauszusehen, abscheulicher Inspector-Dhar-Film
an. Der echte Polizeibeamte hatte nicht das Bedürfnis, sich erneut beleidigen zu
lassen, doch als er erfuhr, worum es in Inspector Dhar und der Käfigmädchen-Killer ging, sah er
sich den Film nicht nur einmal [425]  an, sondern nahm beim zweitenmal sogar Nancy mit.
Es konnte keinerlei Zweifel bezüglich der Herkunft dieser Elefantenzeichnung geben.
Nancy war überzeugt, daß sie wußte, woher dieser kecke kleine Elefant stammte. Es
war unmöglich, daß zwei Leute auf die Idee kamen, den Nabel einer toten Frau in
ein zwinkerndes Auge zu verwandeln. Sogar in der Filmversion hatte der Elefant nur
einen Stoßzahn erhoben – und auch immer denselben. Und dann das Wasser, das aus
seinem Rüssel spritzte – wer sollte sich so etwas ausdenken? hatte sich Nancy zwanzig
Jahre lang gefragt. Und Kommissar Patel hatte gemeint, ein Kind könnte sich so etwas
ausdenken.
    Natürlich hatte
die Polizei nie Einzelheiten an die Presse weitergegeben, sondern es vorgezogen,
ihre Erkenntnisse für sich zu behalten. Sie hatte die Öffentlichkeit nicht einmal
über die Existenz dieses künstlerisch ambitionierten Massenmörders informiert. Es
kam häufig vor, daß Prostituierte umgebracht wurden. Warum sollte man die Presse
dazu ermutigen, die Tatsache, daß es sich um einen Einzeltäter handelte, zur Sensation
aufzubauschen? In Wirklichkeit also wußte die Polizei, allen voran Detective Patel,
daß diese Morde angefangen hatten, lange bevor das Phantasieprodukt Inspector Dhar
und der Käfigmädchen-Killer in die Kinos kam. Der Film lenkte lediglich die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit auf die echten Morde. Die Prostituierten irrten sich, wenn sie
davon ausgingen, daß der Film daran schuld sei.
    Es war Kommissar
Patels Idee gewesen, es bei diesem Mißverständnis zu belassen. Er wollte abwarten,
ob der Film bei Rahul vielleicht Eifersucht weckte, weil er der Meinung war, wenn
Nancy erkannt hatte, woher Inspector Dhars Schöpfer seineAnregung bezogen hatte,
würde auch der echte Mörder das erkennen. Der Mord an Mr. Lal – und vor allem der
interessante Zwei-Rupien-Schein in seinem Mund – deutete darauf hin, daß der Kommissar
recht gehabt hatte. Rahul mußte den Film [426]  gesehen haben – wenn man davon ausging,
daß nicht er der Drehbuchautor war.
    Rätselhaft war dem
Detective allerdings die Aufschrift auf dem Geldschein: MEHR MITGLIEDER
STERBEN, WENN DHAR MITGLIED BLEIBT . Da Nancy so schlau gewesen war, sich auszurechnen, daß nur ein
Arzt Beths bemalten Körper zu Gesicht bekommen haben konnte, würde Rahul natürlich
ebenfalls klar sein, daß nicht etwa Dhar eines von Rahuls Kunstwerken gesehen hatte,
sondern daß das nur der Doktor gewesen sein konnte, der so häufig mit Dhar zusammen
war.
    Die Angelegenheit,
über die Detective Patel mit Dr. Daruwalla unter vier Augen sprechen wollte, war
folgende: Der Detective wollte vom Doktor eine Bestätigung für Nancys Theorie –
nämlich daß er in Wirklichkeit Dhars Schöpfer war und die Zeichnung auf Beths Bauch
gesehen hatte. Zugleich wollte er Dr. Daruwalla warnen. MEHR MITGLIEDER
STERBEN … Das
konnte bedeuten, daß Rahul es auf den Doktor abgesehen hatte. Detective Patel und
Nancy glaubten, daß Farrokh eher als Opfer in Frage kam als Dhar.
    Es dauerte einige
Zeit, bis der Kriminalbeamte dem Doktor diese komplizierten Zusammenhänge am Telefon
erläutert und dieser sie begriffen hatte. Und da Nancy das Telefon an ihren Mann
weitergereicht hatte, ging es in dem Gespräch zwischen Detective Patel und Dr. Daruwalla
gar nicht darum, daß der echte Mörder ein Transvestit oder womöglich sogar eine
rundum überzeugende Frau war. Leider fiel der Name Rahul kein einziges Mal. Man
einigte sich lediglich darauf, daß Dr. Daruwalla ins Kriminalkommissariat kommen
und sich – zur Bestätigung – die Fotos von den Elefantenzeichnungen auf den Bäuchen
der ermordeten Frauen ansehen würde und daß sowohl Dhar als auch der Doktor äußerste
Vorsicht walten lassen sollten. Offenbar war der echte Mörder durch Inspector Dhar
und der Käfigmädchen-Killer provoziert worden – wenn auch [427]  nicht so, wie die Öffentlichkeit
und viele aufgebrachte Prostituierte glaubten.
    Ein Blick auf zwei Ehen in einer kritischen
Phase
    Sobald
Dr. Daruwalla den Telefonhörer aufgelegt hatte, begab er sich ganz aufgewühlt zu
Tisch,

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