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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu
leben – keine nächtlichen Samenergüsse, unbewußt oder sonstwie. Er berührte sich
nicht ein einziges Mal.
    Aber da Martin Mills
wußte, daß selbst sein Sieg über die Selbstbefriedigung Erinnerungen an seine Mutter
wachrufen würde, versuchte er, an etwas anderes zu denken – irgend etwas anderes.
Er wiederholte hundertmal das Datum des 15. August 1534. Das war der Tag, an dem
der heilige Ignatius von Loyola in einer Kapelle in Paris das Gelöbnis abgelegt
hatte, nach Jerusalem zu pilgern. Fünfzehn Minuten lang konzentrierte sich Martin
Mills auf die korrekte Aussprache von Montmartre. Als das nicht funktionierte und
er sich dabei ertappte, daß er seine Mutter vor Augen hatte, wie sie sich vor dem
Zubettgehen die Haare [566]  bürstete, schlug Martin seine Bibel bei der Genesis, Kapitel
19 auf, weil ihn die Zerstörung von Sodom und Gomorrha durch den Herrn stets beruhigte
und weil auch jene Lektion über den Gehorsam, die Martin Mills sehr schätzte, so
geschickt in die Geschichte vom Zorn Gottes eingebaut war. Es war nur allzu menschlich,
daß sich Lots Frau umsah, obwohl der Herr doch allen geboten hatte: »Blickt nicht
hinter euch…« Aber trotzdem wurde Lots Frau zur Strafe in eine Salzsäule verwandelt.
Recht so, dachte Martin Mills. Doch selbst die Freude darüber, daß der Herr diese
Städte, die mit ihrer Verderbtheit geprahlt hatten, vernichtet hatte, konnte dem
Missionar die lebhaften Erinnerungen an die Zeit, als er ins Internat geschickt
wurde, nicht ersparen.
    Ein Truthahn und ein Türke
    Veronica
Rose und Danny Mills hatten sich darauf geeinigt, ihren begabten Sohn auf eine besonders
gute Schule in Neuengland zu schicken, aber Vera wollte nicht solange warten, weil
Martin ihrer Ansicht nach zu religiös wurde. Nicht genug, daß er von Jesuiten unterrichtet
wurde, sie hatten ihm auch noch eingebleut, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen
und gelegentlich auch zur Beichte. »Was soll dieses Kind schon zu beichten haben?«
wollte Vera wiederholt von Danny wissen. Sie fand, daß der kleine Martin für einen
normalen Jungen viel zu brav war. Von der Sonntagsmesse behauptete Vera, sie würde
ihr das Wochenende verpfuschen, also ging Danny mit ihm hin. Einen freien Sonntagmorgen
vertrödelte Danny ohnehin nur, und mit einem Kater wie dem seinen konnte er ebensogut
in der Kirche sitzen oder knien.
    Zunächst wurde der
kleine Martin auf die Fessenden School in Massachusetts geschickt. Das war eine
strenge Internatsschule, aber nicht religiös, und Vera gefiel daran, daß sie ganz
in der [567]  Nähe von Boston lag. Wenn sie Martin besuchte, konnte sie im Ritz Carlton
übernachten und mußte nicht mit einem trübsinnigen Motel oder einem pseudo-malerischen
Landgasthof vorliebnehmen. Martin begann in Fessenden mit der sechsten Klasse und
sollte bis nach der neunten bleiben, mit der diese Schule dann auch endete. Er tat
sich nicht besonders leid – es gab noch jüngere Internatsschüler dort –, obwohl
die meisten Jungen sogenannte Fünftägler waren, was bedeutete, daß sie jedes Wochenende
nach Hause fuhren. Zu den Siebentäglern gehörten außer Martin zahlreiche ausländische
Schüler, aber auch viele Amerikaner, deren Väter im diplomatischen Dienst waren
und deren Familien sich in problematischen Ländern aufhielten. Einige der ausländischen
Schüler, so zum Beispiel Martins Zimmergenosse, waren Kinder ausländischer, in Washington
oder New York akkreditierter Diplomaten.
    Trotz des Zimmergenossen
– denn Martin Mills hätte lieber ein Zimmer für sich allein gehabt – gefiel es dem
jungen Martin in dem engen Raum. Er durfte seine eigenen Sachen an die Wände hängen,
vorausgesetzt, diese wurden nicht beschädigt und die betreffenden Gegenstände waren
nicht obszön. Obszöne Bilder hätten Martin Mills nicht in Versuchung geführt, dafür
aber seinen Zimmergenossen.
    Er hieß Arif Koma
und kam aus der Türkei; sein Vater war am türkischen Konsulat in New York. Arif
hatte einen Kalender mit Frauen in Badeanzügen zwischen seiner Matratze und dem
Federrahmen versteckt. Er bot Martin zwar nicht an, den Kalender mitzubenutzen,
wartete aber normalerweise, bis er glaubte, Martin sei eingeschlafen, bevor er,
angeregt durch die zwölf Damen, masturbierte. Oft sah Martin eine geschlagene halbe
Stunde, nachdem offiziell das Licht gelöscht worden war, Arifs Taschenlampe unter
den Laken und der Decke hervorblitzen, und hörte dazu Arifs Bettfedern quietschen.
Martin hatte sich den Kalender einmal

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