Zirkuskind
beizubringen. Bald waren die Karten blutbefleckt,
da sein Zeigefinger noch immer blutete. Statt seine ärztliche Notausrüstung aus
dem Koffer zu holen, der sich im Ambassador befand – etwas so Simples wie ein Pflaster
hatte der Doktor übrigens gar nicht eingepackt –, bat Farrokh Mr. Sethna um einen
Streifen Heftpflaster. Der alte Butler lieferte es mit der ihm eigenen Geringschätzung
und unangemessenem Zeremoniell im Kartenzimmer ab. Er reichte Martin Mills das Pflaster
auf einem silbernen Serviertablett, das er auf Armeslänge von sich streckte. Dr. [724] Daruwalla nahm die Gelegenheit wahr, um zu dem Jesuiten zu sagen: »Sie sollten
die Wunde lieber in der Toilette waschen, bevor Sie sie verpflastern.«
Aber Martin Mills
wusch und verpflasterte seinen Finger, ohne auch nur einmal in den Spiegel über
dem Waschbecken oder in den großen Kleiderspiegel zu blicken – außer aus einiger
Entfernung und das auch nur, um sein verlorenes und wiedergefundenes Hawaiihemd
eines Blickes zu würdigen. Das Minzblatt zwischen seinen Zähnen entdeckte er nicht.
Allerdings bemerkte er neben dem Spülhebel für das Pinkelbecken einen Papiertuchspender
und stellte außerdem fest, daß unmittelbar neben jedem Spülhebel ein solcher Spender
hing. Die benutzten Papiertücher wurden nicht etwa achtlos ins Urinbecken geworfen,
sondern in einen silbernen Eimer, eine Art Eiskübel ohne Eis, der am Ende der Pinkelbeckenreihe
stand.
Diese Methode erschien
Martin Mills, der darüber nachsann, daß er sich den Penis noch nie mit einem Papiertuch
abgewischt hatte, außerordentlich feinsinnig und übertrieben hygienisch. Es verlieh
dem Vorgang des Urinierens irgendwie mehr Bedeutung, ganz gewiß mehr feierlichen
Ernst, wenn von einem erwartet wurde, daß man sich nach vollbrachter Tat den Penis
abwischte. Wenigstens ging Martin Mills davon aus, daß die Papiertücher dafür gedacht
waren. Es bekümmerte ihn, daß kein anderer Duckworthianer an einem der Pinkelbecken
neben ihm urinierte und er folglich nicht ganz sicher sein konnte, was den Zweck
der Papiertuchspender betraf. Gerade wollte er den Vorgang des Pinkelns wie üblich
beenden – also ohne sich abzuwischen –, als der unfreundliche alte Butler, der dem
Jesuiten das Pflaster überreicht hatte, die Herrentoilette betrat. Das silberne
Serviertablett klemmte in einer Achselhöhle und lag so auf Mr. Sethnas Unterarm
auf wie ein Gewehr.
Weil jemand ihn
beobachtete, glaubte Martin Mills, ein Papiertuch benutzen zu müssen. Er versuchte
sich so abzuwischen, [725] als würde er den verantwortungsvollen Vorgang des Urinierens
stets auf diese Weise beenden, war aber so wenig geübt darin, daß das Tuch kurz
an der Spitze seines Penis hängenblieb und dann ins Pinkelbecken fiel. Was sah das
Protokoll wohl im Falle eines solchen Mißgeschicks vor? fragte sich Martin. Die
Knopfaugen des Butlers waren auf den Jesuiten gerichtet. Als würde ihn das beflügeln,
schnappte sich Martin Mills mehrere Papiertücher, nahm sie zwischen Daumen und den
verpflasterten Zeigefinger und zupfte damit das heruntergefallene Papiertuch aus
dem Urinbecken. Schwungvoll ließ er das Papiertuchknäuel in den silbernen Eimer
fallen, der plötzlich ins Wanken geriet und umgekippt wäre, wenn der Missionar ihn
nicht mit beiden Händen festgehalten hätte. Martin wollte Mr. Sethna beruhigend
zulächeln, als er merkte, daß er, da er den silbernen Eimer mit beiden Händen stabilisiert
hatte, es versäumt hatte, seinen Penis wieder in die Hose zu stecken. Vielleicht
war das der Grund, warum der alte Butler wegsah.
Als Martin Mills
die Herrentoilette verließ, machte Mr. Sethna einen großen Bogen um das Urinbecken,
in das der erkrankte Schauspieler gepinkelt hatte, und pinkelte selbst so weit wie
möglich davon entfernt. Es handelte sich garantiert um eine Geschlechtskrankheit,
dachte Mr. Sethna. Er hatte noch nie miterlebt, daß jemand auf so groteske Weise
pinkelte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es einen medizinischen Grund gab,
warum man sich jedesmal nach dem Pinkeln den Penis abwischen sollte. Der alte Butler
wußte nicht mit Bestimmtheit, ob andere Duckworthianer die Papiertücher aus dem
Spender zu demselben Zweck benutzten wie Martin Mills. Jahrelang hatte Mr. Sethna
angenommen, daß die Tücher dazu da seien, sich die Finger abzuwischen. Und jetzt
warf er, nachdem er sich die Finger abgewischt hatte, sein Papiertuch ordentlich
in den silbernen Eimer und dachte dabei wehmütig über Inspector
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