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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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haben das Bestmögliche für
sie getan.«
    »Nur adoptiert
haben wir sie nicht«, bemerkte Dr. Daruwalla.
    »Na ja,
das war ja schlecht möglich, oder?« fragte der Jesuit. »Wenigstens sind sie jetzt
in der Lage, für sich selbst zu sorgen.«
    »Wenn
Sie so weitermachen, muß ich kotzen«, sagte Farrokh.
    »Im Zirkus
drohen ihnen weniger Gefahren«, sagte der Jesuit beharrlich. »In wie vielen Wochen
oder Monaten wäre der Junge blind gewesen? Wie lange hätte es gedauert, bis sich
das Mädchen irgendeine schreckliche Krankheit geholt oder sich gar mit Aids angesteckt
hätte? Ganz zu schweigen von all dem, was sie bis dahin hätten erdulden müssen«,
fügte er hinzu. »Natürlich machen Sie sich Sorgen. Das tue ich auch. Aber mehr können
wir nicht tun.«
    »Höre
ich da einen gewissen Fatalismus?« fragte Farrokh.
    »Gnade,
hören Sie bloß auf damit!« antwortete der Missionar. »Diese Kinder sind in Gottes
Hand, das meine ich damit.«
    »Vermutlich
mache ich mir deshalb Sorgen«, entgegnete Dr. Daruwalla.
    »Sie sind
nicht von einem Affen gebissen worden!« schrie Martin Mills.
    »Das habe
ich Ihnen doch gesagt«, entgegnete Farrokh.
    »Wahrscheinlich
sind Sie von einer Schlange gebissen worden, [797]  einer Giftschlange«, meinte der
Missionar. »Oder der Teufel höchstpersönlich hat Sie gebissen.«
    Nach fast
zweistündigem Schweigen – ihr Flugzeug war gelandet, und Vinod steuerte sein Taxi
durch den Sonntagsverkehr von Santa Cruz nach Bombay –, fiel Martin Mills etwas
ein, was er hinzufügen wollte. »Außerdem«, sagte er, »habe ich den Eindruck, daß
Sie mir etwas verheimlichen. Es ist so, als würden Sie sich andauernd zurückhalten,
als würden Sie sich dauernd auf die Zunge beißen.«
    Ich erzähle
Ihnen längst nicht alles! hätte der Doktor am liebsten gebrüllt. Aber er biß sich
wieder auf die Zunge. Im weichen Licht der Spätnachmittagssonne blickte von den
schauerlichen Filmplakaten Martin Mills’ selbstbewußter Zwillingsbruder auf die
beiden Männer im Ambassador herab und taxierte sie mit seinem höhnischen Lächeln.
Allerdings waren viele Plakate zu Inspector Dhar und die Türme des
Schweigens bereits
verhunzt, zerfetzt oder mit Dreck beworfen worden.
    Der leibhaftige
John D. hatte gerade eine ganz andere Rolle probiert, denn die Verführung der zweiten
Mrs. Dogar fiel nicht in Inspector Dhars Fach. Rahul war nicht das übliche Filmflittchen.
Wenn Dr. Daruwalla gewußt hätte, wer ihn in seiner Hängematte im Hotel Bardez gebissen
hatte, hätte er Martin Mills recht gegeben: Er war wahrhaftig vom Teufel persönlich
gebissen worden – oder besser: von der Teufelin persönlich.
    Als das
Taxi des Zwergs ins Zentrum von Bombay kam, blieb es kurze Zeit vor einem iranischen
Restaurant stecken – nicht ganz dieselbe Kategorie wie das Lucky New Moon oder das
Light of Asia, dachte Dr. Daruwalla, der auf einmal merkte, daß er Hunger hatte.
Über dem Restaurant erhob sich ein ziemlich übel zugerichtetes Inspector-Dhar-Plakat.
Der Filmschauspieler war von der Wange bis zur Taille zerfetzt, doch sein höhnisches
Lächeln war intakt geblieben. Neben dem verunstalteten Dhar hing ein Plakat von
Lord Ganesha. Möglicherweise warb die [798]  elefantenköpfige Gottheit für ein bevorstehendes
religiöses Fest, aber noch bevor Farrokh die Ankündigung übersetzen konnte, rollte
Vinods Taxi weiter.
    Der Gott
war klein und fett, aber in den Augen derer, die an ihn glaubten, unerreicht schön.
Lord Ganeshas Elefantengesicht war so rot wie ein chinesischer Roseneibisch, und
auf seinem Gesicht lag das Lotuslächeln des ewigen Träumers. Um seine vier Menschenarme
wimmelte es von Bienen – zweifellos angelockt vom Duft des göttlichen Blutes, das
durch seine Adern floß –, und seine drei allsehenden Augen blickten so unendlich
wohlwollend auf Bombay hinab wie Dhars Augen unendlich höhnisch. Lord Ganeshas Kugelbauch
hing fast bis zu seinen Menschenfüßen hinunter, und seine Zehennägel waren so lang
und glänzend lackiert wie die einer Frau. Sein einzelner Stoßzahn schimmerte im
flach einfallenden Licht.
    »Dieser
Elefant ist überall!« rief der Jesuit aus. »Was ist eigentlich mit seinem zweiten
Stoßzahn geschehen?«
    Als Kind
hatte Farrokh am liebsten jene Legende gemocht, der zufolge sich Lord Ganesha den
eigenen Stoßzahn abgebrochen und ihn auf den Mond geschleudert hatte, weil der Mond
den elefantenköpfigen Gott wegen seiner Beleibtheit und Ungeschicklichkeit verspottet
hatte. Der alte

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