Zirkuskind
ihrer englischen Attitüde mit oder ohne Erfolg kopiert worden
war. Und während der restlichen Ausführungen des alten Lowji über die Erforschung
der Kinderlähmung schämte sich der junge Farrokh, daß er seinen ehrgeizigen Vater
auf einmal so sah, wie die Briten ihn sahen: als einen selbstgefälligen Affen, dem
es gelungen war, sie zu imitieren. Damals wurde Farrokh zum erstenmal klar, daß
es möglich war, alles Englische zu lieben und die Briten trotzdem zu hassen.
Und so hatte er,
schon bevor er Indien als möglichen Wohnsitz verworfen hatte, England verworfen.
Im Sommer 1949 dann, während eines Heimaturlaubs in Bombay, hatte der junge Farrokh
Daruwalla ein Erlebnis, das ihn dazu veranlaßte, auch ein Leben in den Vereinigten
Staaten auszuschließen. In diesem Sommer wurde ihm noch eine peinliche Schwäche
seines Vaters deutlich bewußt. Die kontinuierlichen Beschwerden, unter denen er
wegen seiner Rückgratverkrümmung litt, rechnete Farrokh nicht mit; sie fielen nicht
in die Kategorie der Schwächen – im Gegenteil, Lowjis Buckel war eine Quelle der
Inspiration. Doch jetzt machte sich beim alten Daruwalla außer der Vorliebe für
krasse Pauschalurteile über politische und religiöse Themen ein Faible für romantische
Filme bemerkbar. Die ungezügelte Leidenschaft seines Vaters für Waterloo Bridge kannte Farrokh bereits. Bei der
bloßen Erwähnung von Vivian Leigh traten ihm Tränen in die Augen, und keine Grundkonstellation
einer Geschichte erschien dem alten Lowji so tragisch wie jene schicksalhaften Verstrickungen,
die eine gute und lautere Frau in die Niederungen der Prostitution zu stürzen vermochten.
Doch im Sommer 1949
war der junge Farrokh ziemlich [133] unvorbereitet darauf, daß sich sein Vater in jene
abgedroschene Hysterie verrannt hatte, die im Umfeld von Dreharbeiten häufig anzutreffen
ist. Daß es sich um einen Hollywood-Film handelte, machte das Ganze noch schlimmer,
weil er sich durch nichts anderes auszeichnete als durch unendliche Kompromißbereitschaft,
die wichtigste Begabung aller Mitwirkenden. Farrokh war entsetzt, wie unterwürfig
sich sein Vater gegenüber sämtlichen Leuten verhielt, die auch nur am Rande mit
diesem Film zu tun hatten.
Man darf sich nicht
wundern, daß Lowji anfällig für das Filmvolk war und daß sich der vermeintliche
Glamour des Nachkriegs-Hollywood durch die beträchtliche Entfernung von Bombay noch
vergrößerte. Der Ruf der zwielichtigen Gestalten, die in Maharashtra eingefallen
waren, um dort einen Film zu drehen, war erheblich angeschlagen – selbst für die
Verhältnisse von Hollywood, wo Schamgefühl selten lange vorhält –, aber woher hätte
der alte Daruwalla das wissen sollen? Wie zahlreiche Ärzte überall auf der Welt
bildete Lowji sich ein, er hätte ein grandioser Schriftsteller werden können, wenn
ihn die Medizin nicht zuvor in ihren Bann gezogen hätte. Zudem wiegte er sich in
der Illusion, daß er möglicherweise noch eine zweite Karriere vor sich hatte, vielleicht
im Ruhestand. Er glaubte, wenn ihm mehr Zeit zur Verfügung stünde, würde es ihm
keine große Mühe bereiten, einen Roman zu schreiben – und ein Drehbuch noch weniger.
Obwohl die zweite Annahme prinzipiell stimmte, sollte sich herausstellen, daß der
alte Lowji bereits mit einem Drehbuch überfordert war. Schließlich verdankte er
sein großartiges manuelles Geschick und seinen Weitblick als Chirurg ja auch nicht
unbedingt seiner Phantasie.
Leider geht die
Fähigkeit, zu heilen und Menschen gesund zu machen, oft mit einer selbstverständlichen
Arroganz einher. Obwohl Dr. Lowji Daruwalla in Bombay bekannt war – und das, was
er in Indien leistete, sogar im Ausland anerkannt wurde –, [134] sehnte er sich nach
unmittelbarer Berührung mit dem sogenannten kreativen Prozeß. Im Sommer 1949, während
sich sein von hehren Grundsätzen geleiteter jüngerer Sohn in Bombay aufhielt, bekam
Dr. Daruwalla senior, was er sich wünschte.
Unerklärliche Unbehaartheit
Wenn ein
Mann mit Charakter und voller Visionen gewissenlosen Feiglingen in die Hände fällt,
die sich der Mittelmäßigkeit verschrieben haben, taucht häufig ein Vermittler auf,
ein als Kuppler getarnter kleiner Bösewicht, der es geschickt versteht, sich um
eines kleinen, aber hübschen Vorteils willen einzuschmeicheln. In diesem Fall handelte
es sich um eine Dame aus Malabar Hill mit imposantem Vermögen und kaum weniger imposantem
Auftreten. Obwohl sie sich selbst nicht als altjüngferliche Tante
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