Zirkuskind
wieder nicht,
daß er den Unterschied zwischen einer Vagina und einer Brandnarbe, die von der berühmten hijra -Behandlung mit heißem Öl herrührte,
nicht bemerkt hätte.
Während Dr. Daruwalla
auf Vinod wartete, beobachtete er, wie die zweite Mrs. Dogar ihrem Mann ins Auto
half. Sie überragte den armen Parkwächter, der ihr schüchtern die Fahrertür aufhielt,
um einen halben Kopf. Farrokh war nicht überrascht, daß Mrs. Dogar der Fahrer in
der Familie war. Er hatte eine Menge über ihr Fitneßtraining gehört, das auch Gewichtheben
und andere unweibliche Betätigungen beinhaltete. Vielleicht nimmt sie auch Testosteron,
überlegte der Doktor, denn sie sah aus, als würden ihre Sexualhormone toben – ihre
männlichen Sexualhormone, wie es schien. Dr. Daruwalla hatte gehört, daß bei solchen
Frauen die Klitoris manchmal so lang wird wie ein Finger, so lang wie der Penis
eines Jungen!
Wenn zu viele Kingfisher
oder seine amoklaufende Phantasie den Doktor zu Spekulationen dieser Art veranlaßten,
war er dankbar dafür, daß er Orthopäde war. In Wirklichkeit wollte er nicht allzu
genau über diese anderen Dinge Bescheid wissen. Trotzdem mußte er sich zwingen,
nicht weiter darüber nachzudenken, denn er ertappte sich bei der Frage, was wohl [205] schlimmer wäre: daß die zweite Mrs. Dogar Inspector Dhar zu entmannen trachtete
oder daß sie dem attraktiven Schauspieler nachstellte – und daß sie eine Klitoris
von recht ungehöriger Größe besaß.
Dr. Daruwalla war
so aufgewühlt, daß er nicht bemerkte, daß Vinod, einhändig, in die runde Auffahrt
zum Duckworth Club eingebogen war und – mit der anderen Hand – etwas zu spät die
Bremse betätigte. Um ein Haar hätte er den Doktor überfahren. Auf diese Weise wurden
Dr. Daruwallas Gedanken wenigstens von Mrs. Dogar abgelenkt. Farrokh vergaß die
Frau, wenn auch nur für den Augenblick.
Fahrradpyramide
Das bessere
der beiden Taxis, die auf Handbetrieb umgerüstet waren, stand in der Werkstatt.
»Der Vergaser wird überprüft«, erklärte Vinod. Da Dr. Daruwalla keine Ahnung hatte,
wie das vor sich ging, fragte er den Zwerg nicht nach Einzelheiten. Sie verließen
den Duckworth Club in Vinods auseinanderfallendem Ambassador, dessen schmutziges
Weiß an die Farbe einer Perle erinnerte – oder an gelblich verfärbte Zähne. Außerdem
hatte er die Eigenart, daß der Gasdrehgriff gern hängenblieb.
Trotzdem wies Dr.
Daruwalla den Zwerg spontan an, ihn an dem ehemaligen Haus seines Vaters in der
alten Ridge Road in Malabar Hill vorbeizufahren. Dieser Entschluß hing zweifellos
damit zusammen, daß Farrokhs Gedanken um seinen Vater und um Malabar Hill kreisten.
Farrokh und Jamshed hatten das Haus kurz nach der Ermordung ihres Vaters verkauft
– als Meher beschlossen hatte, den Rest ihres Lebens in der Nähe ihrer Kinder und
Enkelkinder zu verbringen, die sich bereits alle dagegen entschieden hatten, in
Indien zu leben. Dr. Daruwallas Mutter starb schließlich in Toronto, im Gästezimmer
des [206] Doktors. Mehers Tod – sie starb im Schlaf, nachdem es die ganze Nacht geschneit
hatte – war so friedlich, wie der des alten Lowji durch die Autobombe gewaltsam
gewesen war.
Es war nicht das
erste Mal, daß Farrokh Vinod bat, an seinem alten Zuhause in Malabar Hill vorbeizufahren.
Vom fahrenden Auto aus war das Haus kaum zu sehen. Der Anblick des ehemaligen Anwesens
der Familie Daruwalla erinnerte den Doktor daran, wie lose seine Verbindung zu dem
Land seiner Geburt geworden war; er war ein Fremder in Malabar Hill. Dr. Daruwalla
wohnte in einem dieser häßlichen Apartmenthäuser am Marine Drive. Seine Wohnung
bot dieselbe Aussicht auf das Arabische Meer wie ein Dutzend ähnlicher Wohnungen.
Er hatte sechzig Laks (etwa 250000 Dollar) für knappeinhundertzehn Quadratmeter
bezahlt, die er fast nie bewohnte – so selten kam er nach Indien. Er schämte sich,
weil er die Wohnung in der übrigen Zeit nicht vermietete. Aber er wußte, daß das
dumm gewesen wäre, weil die Mietgesetze in Bombay die Mieter begünstigten. Hätte
Dr. Daruwalla Mieter gehabt, hätte er sie nie aus der Wohnung herausbekommen. Außerdem
hatte er mit den Inspector-Dhar-Filmen so viele Laks verdient, daß er es für richtig
hielt, einen Teil davon in Bombay auszugeben. Dank eines Schweizer Bankkontos, jener
wundersamen Einrichtung, und der Tricks eines gerissenen Geldhändlers war es Dhar
gelungen, einen beträchtlichen Teil ihres gemeinsam verdienten Geldes aus
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