Zirkuskind
behaupten,
Deutsch oder irgendeine andere Sprache sei romantisch, meinen sie im Grunde nur,
daß sie eine schöne Vergangenheit in dieser Sprache erlebt haben, dachte Dr. Daruwalla.
Er empfand sogar eine gewisse Intimität, wenn er zuhörte, wie Julia deutsch mit
Dhar sprach, den sie stets John D. nannte. So nannten ihn die Dienstboten, und Julia
hatte diesen Namen übernommen, ähnlich wie Dr. Daruwalla und seine Frau die Dienstboten
»übernommen« hatten.
Es handelte sich
um ein schwächliches altes Ehepaar, Nalin und Swaroop – Dr. Daruwallas Kinder und
John D. hatten sie von klein auf Roopa genannt –, die früher Lowji und Meher gedient
und diese überlebt hatten. Für Farrokh und Julia zu arbeiten kam einer Art halbem
Ruhestand gleich, da sich die beiden so selten in Bombay aufhielten. Den Rest der
Zeit kümmerten sich Nalin und Roopa um die Wohnung. Farrokh und Julia [220] waren sich
einig, daß sie sie erst nach dem Tod des alten Dienerehepaars verkaufen würden.
Denn wo sonst hätte das alte Ehepaar wohnen sollen, wenn sie jetzt verkauft worden
wäre? Selbst wenn Farrokh auch weiterhin regelmäßig nach Indien zurückkehrte, hielt
er sich selten so lange in Bombay auf, daß er sich kein anständiges Hotel hätte
leisten können. Als ihn kanadische Kollegen einmal damit gehänselt hatten, daß er
so konservativ sei, hatte Julia gemeint: »Farrokh ist nicht konservativ, sondern
ausgesprochen extravagant. Er hält sich eine Wohnung in Bombay, nur damit die alten
Diener seiner Eltern einen Platz zum Wohnen haben!«
In dem Augenblick
hörte der Doktor, daß Julia etwas über das Halsband der Königin sagte, wie die Lichterkette
am Marine Drive allgemein genannt wurde. Diese Bezeichnung war zu einer Zeit geprägt
worden, als die Straßenlaternen noch weiß waren; die jetzigen Nebellichter waren
gelb. Julia bemerkte gerade, daß Gelb keine passende Farbe für das Halsband einer
Königin sei.
Sie ist eine echte
Europäerin! dachte Dr. Daruwalla. Er hegte die größte Bewunderung für die Art und
Weise, wie sich Julia an das Leben in Kanada und an die sporadischen Besuche in
Indien gewöhnt hatte, ohne jemals ihre von der Alten Welt geprägte Sensibilität
einzubüßen, die in ihrer Stimme ebenso deutlich zum Ausdruck kam wie in ihrer Gewohnheit,
sich zum Abendessen »umzuziehen« – sogar in Bombay. Dr. Daruwalla lauschte nicht
Julias Worten – er horchte nicht. Es ging ihm nur darum, den Klang ihres österreichisch
gefärbten Deutsch zu hören, ihre weiche Aussprache in Kombination mit den präzisen
Formulierungen. Doch er registrierte, daß Julia, nachdem sie vom Halsband der Königin
sprach, Dhar unmöglich die beunruhigende Neuigkeit mitgeteilt haben konnte. Das
entmutigte den Doktor, weil ihm klar wurde, wie sehr er gehofft hatte, seine Frau
möge dem lieben Jungen Bescheid gesagt haben.
[221] Dann redete John
D. Sosehr es Farrokh besänftigte, Julia deutsch sprechen zu hören, sosehr irritierte
es ihn bei Inspector Dhar. Wenn dieser deutsch sprach, erkannte er den John D.,
der ihm vertraut war, kaum wieder, und es erfüllte ihn mit Besorgnis, um wieviel
energischer sich Dhar auf deutsch anhörte, als wenn er englisch sprach. Diese Beobachtung
unterstrich in Dr. Daruwallas Augen die Kluft, die zwischen ihnen entstanden war.
Immerhin hatte Dhar in Zürich studiert; er hatte den größten Teil seines Lebens
in der Schweiz verbracht. Und seine ernsthafte (wenn auch nicht allgemein anerkannte)
Arbeit als Theaterschauspieler am Schauspielhaus Zürich erfüllte John Daruwalla
mit mehr Stolz als der kommerzielle Erfolg in seiner Rolle als Inspector Dhar. Warum
also hätte sein Deutsch nicht perfekt sein sollen?
Auch lag nicht der
kleinste Funken Sarkasmus in Dhars Stimme, wenn er sich mit Julia unterhielt. Farrokh
mußte sich eingestehen, daß er seit langem eifersüchtig war. John D. geht mit Julia
liebevoller um als mit mir, dachte Dr. Daruwalla. Und das, obwohl ich so viel für
ihn getan habe! Dieser Gedanke erfüllte ihn mit väterlicher Bitterkeit, und er beschämte
ihn.
Leise schlüpfte
er in die Küche, wo er wegen des Lärms der anscheinend endlosen Vorbereitungen für
das Abendessen die gut geschulte Stimme des Schauspielers nicht hören konnte. Außerdem
hatte Farrokh zunächst (fälschlicherweise) angenommen, daß Dhar lediglich etwas
zu der Unterhaltung über das Halsband der Königin beitrug. Dann hatte Dr. Daruwalla
ihn auf einmal seinen Namen erwähnen hören – es ging um diese
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