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Zitadelle des Wächters

Zitadelle des Wächters

Titel: Zitadelle des Wächters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas F. Monteleone
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noch im­mer nicht an mehr er­in­nern. Ich bin zu der Er­kennt­nis ge­kom­men, daß ich al­lei­ne nie mehr zum Wäch­ter zu­rück­fin­den kann. Statt des­sen durch­wan­de­re ich die Na­tio­nen und su­che nach Men­schen, die ge­witzt ge­nug, wiß­be­gie­rig ge­nug und stark ge­nug sind, die Su­che auf­zu­neh­men.“
    „Du meinst, ich bin nicht der ein­zi­ge, dem du das er­zählt hast?“
    „Sei nicht be­lei­digt, aber das ha­be ich nicht – Hun­der­te wa­ren es, glau­be ich. Es hät­ten auch an­de­re Mög­lich­kei­ten be­stan­den: Ich hät­te mich als Pro­phet oder ei­ne ähn­li­che Fi­gur von Odo aus­ge­ben, jah­re­lang ei­ne Schar von Jün­gern um mich scha­ren, ei­ni­ges re­li­gi­öses Bei­werk um die Fak­ten flech­ten kön­nen, ein biß­chen Ma­gie, ein paar Le­gen­den. Und so hät­te ich … einen Kreuz­zug ins Le­ben ge­ru­fen. Tau­sen­de von Pil­gern und Gläu­bi­gen hät­ten das Land auf der Su­che nach dem Ver­lo­re­nen Gott durch­streift oder ähn­li­chen Blöd­sinn be­trie­ben. Aber ich glau­be, das ist es nicht, was der Wäch­ter im Sinn hat­te, als er mich nach Ver­stär­kung aus­schick­te …“ Kar­ta­phi­los lä­chel­te dünn.
    „Aber das muß doch schon sehr lan­ge her sein! Du kannst nicht der sein, der du vor­gibst zu sein. Du kannst nicht so alt sein!“
    „Das bin ich aber.“
    „Der Krieg ist vor­bei. Al­le sind tot, schon lan­ge tot! Auch der Wäch­ter müß­te schon lan­ge …“
    „Nein!“ Kar­ta­phi­los stieß das Wort mit sol­cher Macht aus, daß Va­ri­an er­schro­cken schwieg, als ha­be er et­was Blas­phe­mi­sches aus­ge­spro­chen. „Nein, er lebt! Ich weiß es! Ich füh­le es!“
    Va­ri­an lä­chel­te. Die Ge­schich­te hat­te sehr über­zeu­gend ge­klun­gen. Der al­te Mann hat­te durch­aus ein schau­spie­le­ri­sches Ta­lent vol­ler De­tails und Nu­an­cen und Ges­ten. Und er hat­te nur so vie­le In­for­ma­tio­nen preis­ge­ge­ben, daß der Ap­pe­tit der Neu­gier­de er­wa­chen konn­te, da­mit die ei­ge­ne Vor­stel­lungs­kraft die Mög­lich­keit hat­te, die Lücken mit Ei­ge­nem zu fül­len. Fast hät­te es ge­klappt.
    „Nein, Al­ter­chen. Du re­dest Un­sinn. Was du sagst, kann un­mög­lich sein.“
    Ein Aus­druck trat in Kar­ta­phi­los Au­gen, der al­les be­deu­ten konn­te: Är­ger, Haß oder viel­leicht Wahn­sinn. Was auch im­mer es war, es ge­fiel Va­ri­an nicht. Lang­sam wan­der­ten Va­rians Hän­de zum Knauf sei­nes Schwer­tes hin­un­ter.
    Aber der al­te Mann mach­te kei­nen Schritt auf ihn zu. Sein Ge­sicht ver­wan­del­te sich in ei­ne ent­setz­li­che Frat­ze, und die Stim­me, die jetzt er­tön­te, klang lei­se und kaum mehr men­schen­ähn­lich. „Es ist die Wahr­heit. Und das wer­de ich dir be­wei­sen.“
    „Wo­von re­dest du ei­gent­lich?“
    Va­ri­an trat un­will­kür­lich einen Schritt zu­rück, als Kar­ta­phi­los sich am Hals­ver­schluß sei­ner Ro­be zu schaf­fen mach­te. Sei­ne ver­schrum­pel­ten, blau­ge­äder­ten Hän­de grif­fen an die Fal­ten sei­nes Man­tels und sei­nes Wams und zo­gen sie bei­sei­te.
    „Nein …“ sag­te Va­ri­an und hör­te sei­ne ei­ge­ne Stim­me ver­stum­men, bis nur noch ein mat­tes Flüs­tern zu hö­ren war. „Das gibt es nicht. Das kann nicht sein …“
    Er streck­te den Arm aus und zwang sich, die ent­blö­ßte Brust von Kar­ta­phi­los zu be­rüh­ren. Der Rest der Welt ver­schwand um ihn her­um – die Ge­räusche und Far­ben der Docks von Men­tor –, als er sei­nen Blick auf das Bern­stein­glas an der Brust des al­ten Man­nes kon­zen­trier­te. Es ließ klar und tief bli­cken, wie ei­ne na­tür­li­che Was­ser­quel­le, und dar­auf tanz­ten Lich­ter der LEDs und Mi­kro­pro­zes­so­ren. Aber­tau­sen­de Kreis­läu­fe und Lei­tun­gen füll­ten die Tie­fe der Brust, wie Tau­sen­de von Stra­ßen in ei­ner Mi­nia­tur­stadt, ei­ne hyp­no­ti­sie­ren­de Zur­schau­stel­lung von Licht, Ener­gie und Ma­gie.
    „Es muß sich um einen Trick han­deln“, sag­te Va­ri­an und hoff­te, daß er recht hat­te.
    Kar­ta­phi­los schüt­tel­te den Kopf, als er die Fal­ten sei­ner Klei­der losließ und den Kör­per be­deck­te, der wie ein kost­ba­rer Edel­stein strahl­te. „Kein Trick“,

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