Zitadelle des Wächters
damals, als er zum ersten Mal diesem Wesen namens Zeus begegnet war und sich an eine Sage erinnert hatte, in der der gleiche Name auftauchte, spürte Stoor jetzt, wie sich in ihm wieder die Gen-Erinnerung rührte. Was an den Illusionen bescherte ihm dieses Gefühl?
Varian und er hatten schon darüber diskutiert, daß viele ihrer Begegnungen an alte Sagen erinnerten. Der Handelsseefahrer Varian war mit vielen Kulturen konfrontiert worden und hatte daher natürlich eine Unzahl Legenden, Märchen und Sagen gehört. Und Seeleute waren von Natur aus abergläubisch. Auch Stoor hatte an nächtlichen Lagerfeuern sehr viele Geschichten vernommen. Den beiden Männern war aufgefallen, daß einige alte Erzählungen eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihren illusionären Begegnungen in der Zitadelle aufwiesen.
Nicht ausgeschlossen, daß da eine Verbindung bestand, aber im Moment wußten sie einfach noch nicht genug, um das zu verifizieren. Vielleicht war auch alles so einfach, wie Tessa es zuerst vermutet hatte: Der Wächter langweilte sich und benutzte die Gefangenen als Spielzeug, um sich zu amüsieren. Falls dies der Wahrheit entsprach, dann ließ Stoor der Gedanke an die weitere Zukunft frösteln, und er entschied sich lieber dafür, diese Vorstellung nicht weiter auszuspinnen.
Während er so dasaß und seine Pfeife rauchte, übermannte ihn die Müdigkeit, und auch so etwas Ähnliches wie Verzweiflung stellte sich ein. Er legte die Pfeife beiseite und schlief sofort ein. Im Traum fand er sich in einem riesigen Labyrinth wieder. Dort wurde er angetrieben, durch die puzzleartigen Gänge seinen Weg zu finden. Wieder einmal hatte er gegen ein Untier zu kämpfen, und er traf auf eine schöne Frau, die eine erschreckende Ähnlichkeit mit Tessa aufwies.
Die Begegnung verlief nicht sonderlich amüsant.
Zehn
Der nächste Morgen brachte die Rückkehr von Kartaphilos.
Die vier Gefährten hatten sich gerade im Speisezimmer versammelt und aßen dort, dumpf und schweigend. Jeder wußte, daß alle wieder von den Illusionen heimgesucht worden waren, aber bislang hatte keiner den Mut aufgebracht, mit den anderen über seine Alpträume zu diskutieren.
Die Vorstellungen, die Stoor in der vergangenen Nacht gequält hatten, waren in seinen Gedanken immer noch lebendig. Im stillen grübelte er darüber nach, als der großväterliche Homolog das Zimmer betrat.
„Guten Morgen, meine Freunde“, sagte der Automat.
„Das wird sich erst noch zeigen müssen“, sagte Varian.
„Was willst du denn jetzt schon wieder? Uns die Leviten lesen, weil du nicht mehr alles abhören kannst, was wir uns mitteilen?“ schnaubte Stoor dem Wächter ins Gesicht.
Der Homolog lächelte sanft. „Eure Lösung, meinem Überwachungssystem zu entgehen, überrascht mich nicht. Eigentlich habe ich mich schon seit längerem gefragt, wann Ihr endlich einen Weg finden würdet, euch eure Intimsphäre zu erhalten.“
„Das kann ich mir lebhaft vorstellen …“ sagte Stoor. „Verschwinde, Bursche, du verdirbst mir den Appetit.“
„Ganz wie du wünschst. Ich bin eigentlich sowieso nur kurz hier vorbeigekommen, um euch zu erzählen, daß ein alter Freund von euch zurückgekehrt ist. Ich dachte, das würde euch vielleicht interessieren.“
„Welcher alter Freund?“ fragte Stoor.
„Ihr werdet euch vielleicht daran erinnern, daß ich euch davon erzählte, Kartaphilos Mission sei beendet und er selbst zurückgerufen worden. Nun, er hat soeben die Zitadelle betreten.“
„Er behauptete doch, die Position der Zitadelle nicht zu kennen, oder?“ fragte Varian. „Wie hat er dann zurückgefunden?“
Der Homolog zuckte die Achseln. „Eigentlich ganz einfach. Ich habe ein … ein Signal ausgesandt, einen Leitstrahl, der von einem bestimmten Gerät in seinem Körper empfangen wird. Danach kannte er nur noch die eine Aufgabe, dem Strahl bis zu seiner Quelle zu folgen, die ihn hierherbrachte.“
„Warum hast du ihn zurückgerufen?“ fragte Tessa.
„Ich sah keinen weiteren Nutzen darin, ihn durch den bekannten Teil der Welt wandern zu lassen.“
„Warum nicht?“ fragte Varian. „Was soll das heißen?“
„Das heißt, daß er seine Hübschen beisammen hat – uns nämlich“, sagte Stoor.
Der Homolog lächelte gönnerhaft. „Das wohl kaum, meine Freunde.“
„Was dann?“ fragte Varian. „Wie lange soll dieses Spielchen denn noch weitergehen?“
Der Homolog schüttelte den Kopf. „Das weiß ich nicht … Ich wünschte, ich könnte es euch sagen,
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