ZITRONENLIMONADE (German Edition)
gesteigert, die Muskeln gestärkt und ich ging davon aus,
dass die Genesung sehr viel schneller verlaufen würde. Von vierundzwanzig Stunden
saß ich hier dreiundzwanzig Stunden und vierzig Minuten in meinem Rollstuhl,
sofern ich nicht selber Stehübungen an meiner Duschstange in meinem Zimmer
absolvierte oder die "Rennstrecke" benutzte!
Frau
Wallner gab mir völlig Recht, als wir am
kommenden Tag mittags im Grünen spazieren gingen. Da das Gelände unten am
Seeufer eben war, schob ich meinen Stuhl selber mit Händen und einem Fuß, sie
lief neben mir.
"Ich
glaube auch, dass alle von mehr körperlicher Bewegung profitieren würden. Aber
Sie müssen sehen, dass dies eine Personalfrage ist. Man bräuchte wesentlich
mehr Physiotherapeuten, das kostet Geld. Kliniken und Krankenkassen haben eine
knallharte Kostenkalkulation. Zudem ist es auch nicht jedermanns Sache, sich
ständig zu bewegen, sehen Sie sich doch nur mal in der normalen Welt um: Obwohl
bekannt ist, dass Sport in vernünftigem Rahmen gesund und lebensverlängernd
wirkt, trainiert dennoch nur ein Bruchteil der Menschheit regelmäßig. Die
meisten sind zu bequem dazu."
Beschämt
dachte ich an Tage zurück, wo ich mein Fitnesstraining geschwänzt hatte, weil
ich zu müde war, oder mir lieber einen gemütlichen Abend vor dem Videorekorder
gönnte. Irene war auch eine derjenigen Patientinnen, die sich im Fall einer
häufigeren Bewegungstherapie vermutlich bei ihrer Krankenkasse über die Reha
beschweren würde… Nicht mal mein Therapeut hatte Verständnis für mich!
Erst
gestern hatte ich Peter erneut gefragt, ob ich denn nicht mal einen Rollator ausprobieren dürfe. War mir
vollkommen wurscht, ob ich damit korrekt laufen würde, Hauptsache, ich wäre in
der Senkrechten und dürfte meine Beine bewegen. Natürlich durfte ich nicht!
Viel zu gefährlich, laut Peter. Und - ich sollte ja die Chance haben, wieder
normal und frei zu laufen. "Da ist ein Rollator völlig kontraproduktiv. Sie
würden sich einen völlig falschen Gang angewöhnen, sich zu sehr nach vorn
aufstützen. (Bitte, woher wusste er das denn?) Einen Gehwagen haben ohnehin nur
die älteren Leute!" behauptete er.
Stimmte
nicht, ich sah auch eine Menge junger Leute, die sich damit fortbewegten.
"Die haben MS oder sonst eine dauerhafte
Behinderung. Ihr Krankheitsbild ist ein völlig anderes und benötigt auch andere
Behandlung, Frau Salten!" Er sollte nur aufpassen, dass zu meinem
Krankheitsbild nicht auch noch handgreifliche Aggressionen dazu kämen, sonst
könnte es für ihn gefährlich werden! Wenigstens in der Ergo machte ich gute
Fortschritte. Ich war jetzt auch in einer Schreibgruppe, wo wir wie in der
ersten Klasse das Schreiben übten.
Kein
Witz: Wir saßen da vor Schreiblernheften und malten zeilenweise Buchstaben in
Schreibschrift aufs Papier, je nach Können sorgfältiger oder noch unleserlich.
Die ganz Fortgeschrittenen durften Buchtexte abschreiben. Aber so weit war ich
noch lange nicht. Nach einer Din-A-5 Seite A´s und B´s, die auf den Zeilen herumtanzten
wie betrunkene Stubenfliegen, zitterte meine rechte Hand vor Erschöpfung und
Anstrengung, der Unterarm war total verkrampft und der dazugehörige Schmerz zog
bis in die Schulter hoch.
Ich
gewöhnte mir an, gleich nach dem Schreibtraining Lockerungsübungen mit den
Hanteln auf meinem Zimmer zu machen. Zur Förderung der Sensibilität in meiner
rechten Hand spielten wir in der Ergotherapie ebenfalls so etwas wie ein Kindergartenspiel:
Martin, mein Ergotherapeut, hielt mir
einen schwarzen Beutel hin, der oben gerade so weit geöffnet war, dass ich mit
der Hand hineingreifen konnte. Darin hatte er diverse Gegenstände verstaut, die
ich allein durch Tasten erraten sollte. Ich sah ihn zweifelnd an: "Das ist
aber jetzt nicht wie bei diesen Überraschungsschachteln, wo einen etwas zwickt
oder kratzt, wenn ich reinfasse, oder?" Martin war immer gut drauf und
machte, sofern seine Patienten Humor verstanden, gerne Witze.
Er
lachte. " Doch Frau Salten", er zwinkerte mir zu, "da habe ich lebende Skorpione, Giftspinnen,
Regenwürmer und ähnliche Kuscheltiere drin versteckt. Mal sehen, wie lange Sie
durchhalten!"
Na
prima. Wie ich bereits erwähnte, ich mochte keine Überraschungen. Außerdem:
Hatte ich studiert, um jetzt Kinderspielchen zu spielen? Oma mahnte mich ab: Mehr Demut, Kind. Der
Mann will dir doch nur helfen! Ich beschloss, ihm trotz allem zu vertrauen - letztendlich würde er seinen Job
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