ZITRONENLIMONADE (German Edition)
schwer verletzt, dass die Ärzte ihr sagten, es käme
nie mehr in Ordnung und sie hätte für den Rest ihres Lebens Gehprobleme. Sie
ließ sich davon nicht beeindrucken, übte viel und heute gehe sie wieder
klettern. Ich sah sie oft auf dem Gang auf- und ablaufen, sie bewegte sich völlig
normal…" Was ich Ihnen damit sagen will, Christina, lassen Sie sich von
keinem entmutigen oder voraussagen, sie werden nie wieder laufen können. Es
liegt an ihnen!" schloss sie die interessante Stunde ab und fast tat es
mir leid, nicht ihre Patientin zu sein!
Überhaupt war ich nach diesem ersten
Montag abends sehr beschwingt, zumindest seelisch! Überall war ich heute die Beste gewesen! Auch
das Personal freute sich mit mir und über mich, da sie mit mir fast keine
Arbeit hatten.
Nach dem Abendessen, so gegen sechs
Uhr, wurden die meisten Patienten bereits für die Nacht gerichtet und auf ihre
Zimmer gefahren. Michael kam zu mir.
" Frau Salten, Sie brauchen nicht
mit den Hühnern ins Bett gehen. Aber so allein hier im Aufenthaltsraum zu
hocken, ist ebenfalls langweilig. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie rüber ins
Hauptgebäude, da läuft heute Abend im Kino ein Film." Film? Kino? Ich glaubte
es fast nicht, das klang zu schön - zu normal -, um wahr zu sein. Aber was würde
ich tun, wenn mir dieser Film nicht gefiele oder zu lange dauern würde? Schon
wieder brannten mein Steißbein und meine Lendenwirbelsäule vom langen Sitzen.
Michael wischte meine diesbezüglichen Zweifel mit einer lässigen Handbewegung
beiseite.
" Ich kann Sie jederzeit wieder
abholen, wenn Sie das möchten. Gleich neben dem Eingang zum Kinosaal ist ein Haustelefon. Wählen Sie dreimal
die Drei und Sie sind direkt mit der Frühreha verbunden." Okay, dachte ich, die Zahlenkombination kann ich mir
merken. Also ging, pardon, fuhr ich ins Kino. Ich war froh, dass mich Michael
schob.
Die Fahrt ging durch endlos lange Gänge
und erschien mir kilometerweit, bis er vor einer großen doppelflügeligen Tür
stoppte. Er zeigte mir den Haustelefonapparat und brachte mich dann in den
abgedunkelten Saal, in welchem der Film gerade angefangen hatte.
Der Raum war voll: Vorne standen eine
Menge Stuhlreihen mit Zuschauern, seitlich und in der Mitte jede Menge besetzte
Rollis. Michael suchte mir einen guten Platz, weiter hinten, sodass ich mich bei
Bedarf selbst rausmanövrieren, aber dennoch gute Sicht auf die Leinwand
genießen konnte. Als er sich verabschiedet hatte, widmete ich meine
Aufmerksamkeit dem geräuschvollen Geschehen an der Stirnwand. Es handelte sich sinnigerweise
um einen Actionfilm, der von abenteuerlichen Stunts und Schießereien nur so
strotzte.
Der Held und seine Freundin, vom
Bösewicht verfolgt, waren ständig in Bewegung, und zwar von der extremen Art.
Sie sprinteten, liefen, kletterten, sprangen aus brennenden Häusern sowie aus
Flugzeugen und allein vom Hinsehen kamen bei mir Depressionen auf: Vermutlich
wäre die Mehrzahl der Zuschauer hier schon froh gewesen, sich normal gehend
fortbewegen zu können. Warum in Dreiteufelsnamen musste man uns derart
drastisch unsere Unbeweglichkeit vor Augen führen? Wer traf hier die Filmauswahl?
Ich stellte mir vor, wie oben in den
Verwaltungsbüros eine von ihrem Job genervte Sekretärin ihrer Kollegin seufzend
mitteilte, dass man wieder einen Film für die Lädierten aus der Videothek holen
müsse. Und da sich die Zuschauer eh alle nicht richtig bewegen konnten,
beschloss die empathische Verwaltungsangestellte, ihnen mal richtig vor Augen
zu führen, was man mit einem gesunden durchtrainierten Körper alles auf die
Reihe kriegen kann!
Die anderen Zuschauer waren wesentlich
robuster als ich kleines Sensibelchen. Sie starrten gebannt auf die Leinwand
und waren von der Handlung total gefesselt. Nach einer dreiviertel Stunde hatte
ich genug von all den komplizierten Körperverrenkungen, die ich nicht mal in
völlig gesundem Zustand fertig gebracht hätte… Was machte ich eigentlich, wenn ich mal von einem Bösewicht verfolgt
werden sollte? Wegrennen war nicht drin, schnell davon fahren in einem
mechanischen Rollstuhl ebenfalls nicht. Der Typ würde mich einholen, bevor ich meine Bremsen
lösen könnte!
Oma sagte immer: Angriff ist die beste
Verteidigung! Ich entschied mich gedanklich dafür, den Vorwärtsgang in meinem Rolli einzulegen, meinem Verfolger
meine Knie in seine kostbarsten Teile zu rammen oder ihm Plattfüße zu
bescheren, indem ich über dieselben drüber fahren
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