Zombieparade: Storys (German Edition)
stellen, die sich zu weit von den anderen entfernt hatten. In jener Nacht regierte die Völlerei. Ich hatte mich bereits an zwei Flüchtlingen genährt, als ich meinen Körper reinigte und nach einem dritten suchte. Ein solches Vorgehen war bis vor Kurzem in unserem Volk noch unerhört gewesen, inzwischen jedoch an der Tagesordnung. Vielleicht handelte es sich um
eine fehlgeleitete Neigung zur Überkompensation, ein unbewusstes Bedürfnis, Kontrolle über unsere Situation auszuüben. Was die zugrunde liegenden Motive angeht, bin ich immer noch unsicher. Von einer bewussten, emotionalen Warte aus kann ich sagen, dass mir die Jagd kein Fünkchen Spaß mehr machte. Ich verspürte nur noch Wut auf meine Opfer, Wut und eine irrationale Verachtung. Ich tötete unnötig schmerzhaft. Ich stellte fest, dass ich die Leiber meiner Opfer verstümmelte, sie im Augenblick des Todes gar noch verhöhnte.
Einmal ging ich so weit, dass ich mein Opfer mit einem Schlag auf den Kopf außer Gefecht setzte, aber hinreichend bei Bewusstsein ließ, dass es meine Worte hören konnte. »Warum unternehmt ihr nichts?«, spottete ich mit dem Gesicht nur Zentimeter von seinem entfernt. Er war alt, ein Ausländer, der meine Sprache nicht verstand. »Na los!«, fuhr ich ihn an. »Tut etwas!« Das geriet mir zu einem psychotischen Mantra: »Tut etwas, tut etwas, TUT ETWAS!« Wenn ich heute zurückdenke, kommt es mir vor, als wäre dieses »Tut etwas« weniger eine Provokation als vielmehr ein verborgener Hilferuf gewesen. »Bitte tut etwas«, hätte ich eigentlich sagen sollen. »Deine Rasse besitzt die Hilfsmittel und die Willenskraft! Bitte tut etwas! Findet eine Lösung,
die unsere beiden Rassen rettet! Bitte tut etwas! Solange es noch genügend von euch gibt! Solange noch Zeit ist! Tut etwas! TUT ETWAS!«
In dieser Nacht am Temenggor-See war ich so trunken von Blut, dass ich zu solcher Zwiesprache außerstande schien. Das ausgemergelte Weibsbild sah schlecht aus, allerdings war ihr Zustand mehr psychischer Natur. Viele Flüchtlinge standen unter »Schock«, wie die Menschen es nannten. Ihre Körper hatten die Strapazen einigermaßen heil überstanden, ihr Verstand dagegen nicht. Die Schrecken, die sie mit ansehen mussten, die Verluste, die sie erlitten, zeitigten bei vielen schreckliche seelische Folgen. Die Frau, der ich das Blut aussaugte, nahm mich ebenso wenig wahr wie die Subtoten. Als ich ihre Ader öffnete, stieß sie, wenn ich es richtig interpretierte, sogar einen leisen Seufzer der Erleichterung aus.
Ich entsinne mich, wie abstoßend ihr Blut auf meiner Zunge schmeckte, dünn, leer und kontaminiert vom Beigeschmack abgestorbener Fettzellen. Ich überlegte mitten in der Nahrungsaufnahme, ob ich sie nicht einfach wegwerfen und mir ein viertes Opfer suchen sollte. Doch plötzlich lenkte mich eine Kakophonie von Schreien und Stöhnen ab, die sich lauter als zuvor anhörte und von der Westseite der Brücke kam.
Die Subtoten waren durchgebrochen. Ich sah es in dem Moment, als ich aus dem Dschungel trat. Auf der Barriere aus umgekippten Autos und Schutt, die die Menschen errichtet hatten, wimmelte es von gefräßigen Killermaschinen. Ich habe keine Ahnung, ob die Verteidiger der Mut verließ oder ihnen die Munition ausging. Ich sah lediglich Menschen in ungeordnetem Rückzug vor der Horde. Hunderte, womöglich tausende Kreaturen strömten über die Barrikade und trampelten dabei ihre Brüder nieder, die eine Rampe aus zerquetschtem Fleisch bildeten.
Ich sprang auf die Brücke und rief in der Tonlage, die nur unsere Gattung hören kann, nach Laila. Es kam keine Antwort. Ich musterte die Schar der fliehenden Menschen und hoffte, ich würde ihre klare, bernsteinfarbene Aura im hellen Rosa des Mobs erkennen. Nichts. Sie war fort. Hier befanden sich nur die panischen Sonnenbrüter und die vorrückenden, heulenden Subtoten. Da spürte ich sie zum ersten Mal, eine übermächtige, längst vergessene Emotion. Nicht Nervosität, an diese Empfindung hatte ich mich leider schon zu sehr gewöhnt. Nervosität ist die Frucht potenzieller Gefahren; Feuer oder Sonnenlicht oder eine neue Gattung biomechanischen Unheils. Dies war nicht Nervosität. Es war überhaupt kein bewusstes Denken. Es war etwas
Urzeitliches, Instinktmäßiges, das mich wie eine unsichtbare Klaue packte. Diese Empfindung hatte ich nicht mehr gespürt, seit mein Herz vor so vielen Jahrhunderten aufgehört hatte zu schlagen. Es war eine menschliche Empfindung. Es war Angst.
Es ist
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