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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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brachte Mark Spitz beinahe zum Glucksen. Gary, wie er sich räusperte und die geübten Phrasen, die Begrüßungen und Schmeicheleien aneinanderreihte, während er über die Gangway vom U-Boot auf seine ersehnte Insel trat.
    Mark Spitz löschte die Kerze und schaute nach vorn hinaus. Die Toten wankten die Gold Street entlang, hielten sich in ihrer schauerlichen Prozession südwärts. Im Augenblick nicht sehr zahlreich. Noch war Zeit, an ihnen vorbeizukommen.
    Er kehrte in das Hinterzimmer zurück. Er holte seine Taschenlampe aus seinem Rucksack. Unmöglich, das Foto der Gasse zu datieren. Es könnte durchaus der letzte Nachmittag der Welt gewesen sein, eine Szene, die in den Katastrophenfilm hineinmontiert werden musste. Die selbstvergessenen Bürger schweben auf dem Amboss dieses banalen Nachmittags, ohne etwas von der Bombe, dem Meteor, dem verhängnisvollen Felsbrocken zu ahnen, der gerade in die Atmosphäre eintritt. In dreißig Sekunden werden sie aufhören zu existieren, aber vorläufig leben sie noch in ihrem Augenblick von Geborgenheit. Gemütlich im Sonnenlicht, die Hand des geliebten Menschen warm und fest in der ihren.
    Der Lieutenant hatte Kaitlyn und ihn aufgefordert, sich eine Welt vorzustellen, in der die Irrläufer die Mehrheit der Toten und nicht einen abnormalen Bruchteil der Menschheit bildeten. Dieses Foto zeigt, wie das aussehen würde, dachte Mark Spitz. Die ganze Bevölkerung in verstrichenen Momenten gefangen, verzaubert von der Welt, die es nicht mehr gab. Gebannt vom Umriss eines Schattens, den ein Phantom warf, das sie einmal glücklich gemacht hatte.
    Er hatte den verbotenen Gedanken. Er verdrängte ihn nicht.
    Es war das zweite Mal in drei Tagen, so dicht nacheinander wie seit seiner Rettung aus dem Farmhaus nicht mehr. Es ereignete sich erneut: das Ende der Welt. Die letzten Monate waren nur ein Innehalten gewesen, eine Atempause vor dem neuerlichen Aufgehen in der Vernichtung. Diesmal können wir uns nicht vormachen, dass wir lebendig davonkommen.
    Wann hatte ihn das letzte Mal jemand fotografiert? Auf Rhode Island. Einen Monat bevor er in Northampton abgeholt worden war, während eines zweiwöchigen Aufenthalts in einem Stundenhotel. Die landesweit operierende Billighotelkette hatte eine noch billigere Kette aufgekauft und sanierte und renovierte die generell heruntergekommenen Immobilien, installierte die HD -Fernsehschirme an ihren Schwenkarmen, riss die von Zigarettenbrandlöchern verunzierten und von Körperflüssigkeiten verfleckten Teppichböden heraus, um sie durch die futuristischen, gegen Verschmutzung unempfindlichen Fasern zu ersetzen. Das Haus, über das Mark Spitz stolperte, war während des Baus mit einem Maschendrahtzaun, einem beruhigenden Schutz gegen Skels, umgeben worden. Inzwischen wusste man das leise Klirren von Maschendraht, diesem Abgrenzer und Alarmsystem, zu schätzen.
    Überlebende kamen und gingen. Er hatte Zimmer 12 mit Beschlag belegt, ein muffiges Kabuff in Umbrabraun und Grau. Die anderen Überlebenden waren harmlos. Müde wie er, in der vorübergehenden Windstille des Interregnums. Er war bei einer Hochzeit, in einem Block mit Preisnachlass für Gäste der Feier. Einander Fremde, aber gleichwohl die ganze Zeit, auch wenn sie es nicht gewusst hatten, miteinander verbunden, bis sie in dieser kleinen Zeitinsel außerhalb ihres normalen Lebens zusammengeworfen worden waren, um Zeugen davon zu werden. Nur dass die Feier immer wieder aufgeschoben wurde. Sie verlängerten mehrfach ihren Aufenthalt, riefen die Leere am Empfang an, sprachen die erforderlichen Entschuldigungen in die toten Telefone. Für Beschwerden war es jetzt allerdings zu spät.
    An den meisten Abenden, wenn den Leuten danach war, teilten sie sich Proviant in dem winzigen Frühstücksraum neben dem Empfang, Linsen oder Marmelade, und dort lernte er auch die Simons kennen. Sie waren etwas im Ödland äußerst Seltenes, nämlich eine intakte Familieneinheit. Oder sie taten zumindest so. Rob und Lonnie, ihre Kinder Harold und Jennie. Wie sie es so weit geschafft hatten, war ihm schleierhaft. Über Neugier war er längst hinaus, und Mom und Dad waren jedenfalls schwer bewaffnet, Munitionsgurte querten ihre Brust, nervöse Hände entfernten sich nie weit von den Holstern an ihrer Hüfte, das war Erklärung genug. Harold und Jennie waren elf bzw. dreizehn. Sie ähnelten ihrem Vater, besonders was die Augen anging, und sagten selten etwas.
    Sie blieben zwei Nächte. Am zweiten Abend schlossen sie

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