Zonta-Norm regelwidrig
Hannibal und ich uns auf den Weg. Als wir uns der glatten Felswand auf der anderen Seite der Ringstraße näherten, erkannten wir die Umrisse der Zugänge, die zu den tausendfach gesicherten Korridoren führten. Uns war alles andere als rosig zumute. Wenn man genau hinsah, kam man zu dem Schluß, daß unser ganzes Vorhaben – angefangen mit der Voraussetzung, die sich auf die Entzifferung des Spruches vom flatternden Marsvogel und dem fliehenden Südwind stützte – nur auf Ahnungen und Einfällen beruhte. Wir besaßen keine einzige Erkenntnis, von der wir mit Sicherheit sagen konnten, daß sie die Lage korrekt wiedergab. Es war denkbar, zum Beispiel, daß ZONTA auf meine Aufforderung hin den Zugang zum Korridor öffnete und uns von der ersten eingebauten Hochenergiewaffe zerstrahlen ließ.
Nein, freundlich waren unsere Gedanken in diesem Augenblick nicht. Das einzige, das uns weiterhalf, war die Erinnerung, daß wir uns oft in ähnlichen Lagen befunden und sie schließlich doch gemeistert hatten. Wir beriefen uns auf das Glück, das uns in der Vergangenheit beigestanden hatte, nicht auf unsere eigenen Fähigkeiten.
Vierzehn Uhr dreißig.
Ich aktivierte den Kodator.
»Hier spricht Nang-Tai, im Besitz des marsquotenberechtigten Bewußtseins des Befehlshabers Okolar-drei, Thor Konnat. Der Augenblick, da der Marsvogel flattert und der Südwind flieht, steht bevor. Ich werde dir die genaue Sekunde bezeichnen, und du wirst den Zugang öffnen!«
Der winzige Bildschirm, der auf der Oberfläche des Taschenkodators eingearbeitet war, leuchtete auf, und ZONTAs Symbol erschien. Das war das erste Mal seit unserer Landung in der Mondfestung, daß ZONTA sich auf diese Weise meldete. Ich war überrascht.
»Wichtige Teile der soeben vorgebrachten Meldung sind aufgrund des verwendeten Idioms unverständlich«, erklärte ZONTA. »Ich bitte um Wiederholung in einer geeigneten Sprache!«
ZONTA hatte seinen Spruch damals in der Sprache der alten Marsianer abgegeben. Das war es, worauf er abzielte. Ich wiederholte meine Aufforderung auf Marsianisch und gab mir Mühe, die Worte sorgfältig zu artikulieren.
»Die Meldung wird verstanden«, reagierte ZONTA. »Ich warte auf Bezeichnung des genauen Augenblicks!«
Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Wie genau mußte meine Uhr sein? Reichte es aus, wenn ich die Sekunde ungefähr traf, oder war eine größere Genauigkeit erforderlich? Wie genau waren überhaupt Josua Aichs Angaben? Hatte er ein verläßliches Gefühl dafür gehabt, worum es hier ging?
Ich sah Hannibals Blick auf mich gerichtet. Die Augen waren ruhig, kein Schimmer der Angst darin zu sehen. In einer solchen Lage konnte ich mich auf den Kleinen verlassen. Er war kalt wie ein Klotz aus Trockeneis.
Vierzehn Uhr dreiunddreißig, null Sekunden.
Dreißig Sekunden später begann ich zu zählen.
Um 14:33:40 sagte ich:
»Der kritische Zeitpunkt kommt auf uns zu. Er ist … jetzt!«
Ich ließ den Arm mit dem Chronometer sinken und blickte auf. Eine Sekunde verging, dann noch eine. Plötzlich begann sich die Rille zu weiten, die den Umriß des Eingangs bezeichnete. Ein knapp mannshohes Stück der Felswand trat zunächst nach innen und wich sodann zur Seite.
»Der Zugang ist frei!« meldete ZONTA.
Ich wandte mich noch einmal um. Drüben, auf der anderen Seite der weiten Fläche, standen die Männer, die wir zurücklassen mußten. Einer – ich glaube, es war Framus G. Allison – hatte den Arm erhoben und winkte. Ich winkte zurück. Dann gab ich mir einen entschlossenen Ruck und konzentrierte mich auf den Eingang und den hell erleuchteten Korridor mit schimmernden Metallwänden, der sich jenseits bis
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