Zorn der Meere
fangen, denn sie fürchteten das Licht, und wenn sie sich aus ihrer Panik gelöst hatten, flatterten sie wie Hühner umher. Auch die anderen Soldaten gingen zu zweit vor: Einer hielt die Fackel hoch, der andere packte die Tiere mit bloßen Händen, brach ihnen das Genick und warf sie in einen mitgebrachten Sack.
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»Hast du das Geschwätz von Ryckert neulich ernst genommen?«, erkundigte sich Wiebe bei seinem Kameraden.
»Der war doch besoffen«, erwiderte Mattys.
»Es hat mir trotzdem zu denken gegeben. Glaubst du, er war bei dem Überfall auf Frau van der Mylen dabei?«
Mattys schwieg. Wiebe hörte seine Schritte auf den Korallen knirschen.
»Ich hatte den Eindruck, er hat auch von einer Meuterei gefaselt«, fuhr Wiebe nachdenklich fort.
»Tja, den Rest seiner Geschichte erfährt wohl keiner mehr«, bemerkte Mattys grinsend. »Ryckert schweigt jetzt wie ein Grab.«
»Weißt du, was mit ihm geschehen ist?«, erkundigte sich Wiebe.
Mattys überging seine Frage. »Die Sache mit der Meuterei hast du dir nur eingebildet«, erklärte er leichthin. »Wer hätte denn dazu den Mut?«
»Jeder, der dämlich genug ist«, brummte Wiebe.
Er wurde von wildem Flügelschlagen abgelenkt. Ein Sturmtaucher hatte sich in einem Strauch verfangen. Wiebe sprang vor und packte ihn. Für den Augenblick hatte er die Meuterer vergessen.
Als Sussie aufblickte, sah sie Wiebe Hayes vor sich stehen.
An seiner Hand baumelten zwei winzige Vögel, die vom Feuer geschwärzt waren. Sussie schluckte den Speichel herunter, der sich unwillkürlich in ihrem Mund sammelte, und versuchte, nicht gar zu gierig auf die verkohlten Tiere zu starren.
»Ich habe Euch etwas zu essen gebracht«, sagte Wiebe.
»Tryntgen, schau, wer da ist«, forderte Sussie ihre Schwester auf, die neben ihr saß und auf das Meer hinausblickte. Tryntgen zuckte zusammen und fuhr herum. Für einen Moment war
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Hoffnung in ihren Augen aufgeblitzt - sie erlosch jedoch, als sie Wiebe erkannte.
Sussie hatte bereits einen der beiden Vögel ergriffen und machte sich darüber her. Ich bin zum Tier geworden, dachte sie, indem sie das Vogelfleisch verschlang. Der Hunger raubt dem Menschen die Würde, und plötzlich hat man vergessen, wie man sich sittsam benimmt.
Wiebe hatte Tryntgen einen Bissen hingehalten, an dem sie nun teilnahmslos knabberte.
Sussie zerrte das zarte Vogelskelett auseinander und saugte an den Knochen. Zwischendurch leckte sie sich schmatzend die Finger ab. Mit einem Mal hielt sie inne. Sie hatte gemerkt, dass Wiebe sie beobachtete.
»Ich danke Euch«, murmelte Sussie verlegen. »Ihr wart sehr nett.«
Wiebe zuckte die Achseln. »Nicht der Rede wert. Ist ja nur ein kleiner Happen.«
»Ich war unglaublich hungrig«, entschuldigte Sussie sich.
»Ich... ich esse sonst nicht so... unbeherrscht.«
Wiebe ging darüber hinweg. »Kann ich noch etwas für Euch tun?«, fragte er.
Sussie schüttelte stumm den Kopf.
Wiebe blickte in die Runde. »Machen die anderen Männer Euch Kummer?«
Sussie verneinte verwundert, doch erst dann wurde ihr klar, worauf sich seine Frage bezog. Er dachte daran, was Frau van der Mylen zugestoßen war. Die Schuldigen befanden sich gewiss noch unter ihnen.
»Wenn einer von ihnen zudringlich wird«, fuhr Wiebe unterdessen fort, »dann kommt zu mir. Ich werde dafür sorgen, dass Euch nichts geschieht.«
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Wiebes Blick ruhte auf Tryntgen. Sie hielt den gebratenen Vogelleib halb aufgegessen in der Hand. Sussie strengte sich an, ihren Blick davon abzuwenden.
»Es hat sie arg getroffen«, bemerkte Wiebe.
»Ist das ein Wunder?«, gab Sussie zurück. »Ich hätte es verstanden, wenn er mich zurückgelassen hätte. Aber sie ist doch seine Frau!«
»Aus Angst tun die Menschen oftmals schreckliche Dinge«, erklärte Wiebe.
»Hättet Ihr denn auch so gehandelt?«, fragte Sussie.
»Dergleichen weiß man erst, nachdem man in so einer Lage war«, erwiderte Wiebe.
»Ich würde gemeinsam mit meinem Mann sterben wollen.«
Wiebe lächelte. »Das glaube ich Euch sogar, Sussie.«
Sussie erkannte, dass er sie erstmals mit dem Blick bedachte, auf den sie so lang gewartet hatte. Er erfasste nicht nur ihr Gesicht und ihren Körper, sondern schien bis in ihr Inneres zu dringen.
»Vergesst nicht, was ich Euch gesagt habe«, mahnte Wiebe im Fortgehen. »Wenn jemand Ärger macht, sagt Ihr mir Bescheid.«
Ob ich nun sein Schatz geworden bin? fragte Sussie sich, während sie sehnsüchtig seiner kräftigen Gestalt nachblickte.
Am
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