Zorn der Meere
Und nun mach dich herbei - und dann wird die Geschichte mit deiner Hure gleich mit dir erledigt und begraben.
Auf dem Friedhof
Der Säugling schrie ohne Unterlass. Kurz hinter der Tafelbucht war er zur Welt gekommen, doch er war von Anfang kränklich.
Mayken, seine Mutter, reichte dem Kind zum wiederholten Mal die Brust, doch es wand sich in ihren Armen, drehte den Kopf zur Seite und schrie. Es hatte die ganze Nacht lang geweint. Keine der Frauen hatte geschlafen.
Lucretia sah zu, wie die Frauen sich um Mayken und ihr Kind scharten, allen voran Gertje Willemsz, eine Witwe, die eine stattliche Anzahl eigener Kinder geboren hatte und sich bestens damit auszukennen schien.
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Lucretia fühlte sich überflüssig, doch es drängte sie danach zu helfen.
»Kann ich etwas tun?«, fragte sie beflissen.
Der Blick, mit dem Gertje Willemsz sie bedachte, war eindeutig. Was kannst du schon tun? besagte er.
Lucretia schaute zu Boden. Was erwarte ich? dachte sie. Sie haben mich bei sich aufgenommen und sie bieten mir Schutz, doch meine Freundinnen sind sie nicht geworden. Ich hatte einmal eine vornehme Kabine für mich, das allein nehmen sie mir krumm. Und dann ist mir noch etwas zugestoßen, worüber keine von ihnen spricht. Womöglich glauben sie, dass es mir recht geschah.
»Das Kind hat Magenkrämpfe«, erklärte Geertje. »Wir brauchten Kräuter für einen Sud. Doch hier gedeiht ja nichts.«
»Ich könnte den Unterkaufmann um eine Arznei bitten«, schlug Lucretia vor. »Er war früher Apotheker. Vielleicht wurde eine seiner Vorratskisten angespült.«
»Ärzte und Apotheker kennen sich bei Kindern nicht aus«, beschied Gertje sie ruppig.
»Es schadet aber doch nichts, ihn zu fragen«, wandte Lucretia ein.
Gertje runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, doch hinter ihrem Rücken nickte Mayken Lucretia zu.
Lucretia raffte ihre Röcke zusammen und verließ das Zelt.
»Wartet noch einen Augenblick!«, rief Sussie und eilte hinter ihr her.
»Madame«, begann Sussie, als sie Lucretia eingeholt hatte,
»wenn Ihr mit dem Unterkaufmann sprecht, könntet Ihr ihn vielleicht auch nach den Gerüchten fragen.«
»Nach welchen Gerüchten speziell, Sussie? Es gibt jede Menge Gerede.«
»Na, zum Beispiel dem über Ryckert.«
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»Was soll denn der Unterkaufmann über Ryckert wissen? Er ist doch erst später aufgetaucht.«
»Es wird aber seitdem gemunkelt, dass sich Meuterer unter uns befinden. Einige sorgen sich, dass dem Unterkaufmann etwas geschieht. Vielleicht solltet Ihr ihn warnen.«
»Ich werde daran denken.«
Sussie lächelte und knickste. »Danke, Madame«, sagte sie.
Wenigstens eine, die mich zu mögen scheint, dachte Lucretia, ehe sie sich auf die Suche nach Jeronimus begab.
Jeronimus schien sich erholt zu haben. Er sprang auf, als er Lucretia sah.
»Lucretia!«, begrüßte er sie händereibend. »Wenn Ihr wüsstet, wie sehr mich Euer Besuch erfreut!«
Lucretia stutzte. »Guten Tag, Herr Unterkaufmann«, erwiderte sie ein wenig steif.
»Ihr habt also glücklich überlebt«, fuhr Jeronimus überschwänglich fort. »Und Ihr seht wundervoll aus, wenn ich das hinzufügen darf.«
»Wir hatten befürchtet, Euch sei etwas zugestoßen«, entgegnete Lucretia, verwirrt von seinem Gebaren.
»Nicht doch«, winkte Jeronimus ab. »Diese Sorge war gänzlich überflüssig. Ich habe lediglich meine Pflicht getan.
Nicht alle suchen in der Not das Weite. Ich tat mein Bestes, um die Fracht der Companie zu retten. Leider ein hoffnungsloses Unterfangen.« Er deutete auf eine Flasche Wein. »Hättet Ihr Lust, ein Gläschen mit mir zu trinken?«
Lucretia schüttelte den Kopf.
Jeronimus schenkte sich seinen Becher voll.
Lucretia beobachtete verwundert, wie er ihn mit großen Schlucken leerte, und fragte sich, ob er nicht wusste, dass alle Getränke rationiert worden waren.
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»Ich benötige Eure Hilfe«, begann Lucretia.
»Und ich stehe wie immer zu Euren Diensten.«
»Eine der Frauen hat ein krankes Kind«, erklärte Lucretia.
»Ich dachte, als ehemaliger Apotheker hättet Ihr -«
»Bedauerlicherweise nicht«, wehrte Jeronimus ab. »Meine Bücher und Arzneien sind mit der Batavia untergegangen.
Warum versucht Ihr es nicht bei Aris Janz?«
»Ich weiß nicht, ob er der Richtige ist«, entgegnete Lucretia, die sich seiner erfolglosen Bemühungen bei Francois' Krankheit entsann.
»Tja, dann kann ich auch nicht helfen«, bedauerte Jeronimus.
»Das ist zu schade«, murmelte Lucretia. Sie wollte sich
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