Zorn: Thriller (German Edition)
schüttelte den Kopf. Sie lautete: »Jedenfalls ist die Stimme, die weiblich klingt, zweifellos mittels eines Stimmverzerrers verändert worden. Das bedeutet, dass es in der aktuellen Situation nicht möglich ist festzustellen, ob die Stimme einem Mann oder einer Frau gehört.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon extrem schrill. Paul Hjelm war es schleierhaft, warum in der sonst so hochtechnologisch ausgestatteten Bürolandschaft immer noch eine feste Leitung installiert war. Wahrscheinlich, um vor sich hin grübelnde Chefs mit einem Schock aus ihrer Versunkenheit aufzuschrecken.
»Ja?«, meldete er sich mit belegter Stimme.
»Hast du etwa geschlafen?«, fragte eine wohlbekannte Stimme, die er aber nicht einordnen konnte.
»Chefs schlafen nie«, antwortete Hjelm und überlegte verzweifelt, wem die Stimme gehörte.
»Hier ist Donatella Bruno«, erklärte die Stimme barmherzig. »Aus Italien.«
»Ich weiß«, entgegnete Hjelm deutlich schärfer als beabsichtigt. Er versuchte sofort, diesen Fauxpas wieder wettzumachen, indem er bedeutend milder fragte: »Wie geht es dir, Donatella?«
»Aus Italien, genauer gesagt aus Livorno«, fuhr Bruno ungerührt fort. »Und noch genauer gesagt aus dem Computer Discount in der Via Scali d’Azeglio. Ich habe endlich die Verkäuferin angetroffen, die die drei SIM-Karten verkauft hat.«
»Okay«, meinte Hjelm und stellte die Musik leiser.
»Die Verkäuferin hat sich an den Kunden erinnert, wenn auch nur vage. Eine genauere Beschreibung konnte sie zwar nicht abgeben, aber sie erinnerte sich an eine wichtige Sache.«
»Die da wäre?«, fragte Paul Hjelm.
»Dass es ein Mann war«, antwortete Donatella Bruno.
»Also ›Badde‹?«, wiederholte Kerstin Holm. »Und aus welchem Grund haben Sie und Ihr Verlobter sich auseinandergelebt?«
»Es war eigentlich kein Auseinanderleben«, antwortete Marina Ivanova. »Es war eher eine Explosion. Eine ganze Reihe grundlegender Wertvorstellungen hatten sich drastisch verschoben.«
»Haben Sie die Verlobung aufgelöst?«
»Nein, nicht direkt, aber zwischen uns waren gewisse Dinge ausgesprochen worden, die man nicht mehr zurücknehmen konnte. Ich hatte ihn als Verräter und Abschaum beschimpft, als Mitglied der fünften Kolonne, als Denunzianten. In dieser Situation lernt ich Didde kennen. Ich hatte große Lust, ihm nach Avignon zu folgen, nicht zuletzt, um von Badde loszukommen.«
»Badde und Didde«, sagte Kerstin Holm. »Klingt wie diese einfältigen Spitznamen der Oberklassetypen auf dem Stureplan.«
»Ich glaube, wir waren auch einfältig«, bestätigte Ivanova mit einem raschen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Und wie hat er Sie tituliert«, fragte Sara Svenhagen.
»Wie bitte?«
»Sie hatten Badde einen Verräter genannt. Und wie hat er Sie genannt?«
»Unter anderem Despotin. Antihumanistin. Kommunistische Faschistin. So in der Art.«
»Wie kam es dazu?«
Marina Ivanova seufzte und senkte den Blick. »Es hing mit einem Ereignis zusammen«, antwortete sie.
»Und mit welchem Ereignis?«
»Mit dem 11. September«, erklärte Ivanova.
»Also Nine-Eleven?«, fragte Sara Svenhagen. »Erzählen Sie.«
»Wir saßen nachmittags im Pausenraum des Instituts und tranken Kaffee«, berichtete Ivanova. »Didde, ich, Badde und noch einige andere der radikalsten Mitarbeiter im Institut. Im Hintergrund lief der Fernseher. Plötzlich kamen die ersten Berichte aus New York. Manhattan war in eine riesige Rauchwolke gehüllt. Dann zeigten sie, wie eines der Flugzeuge in den Nordturm eingeschlagen war. Geradewegs in das Herz des Kapitalismus. Mehrere von uns reagierten intuitiv. Didde sprang auf und jubelte laut. Ich habe ebenfalls gejubelt wie auch ein paar Kollegen von Didde. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mich Didde in die Arme warf und er in seinem eigenwilligen französischen Schwedisch rief: ›Jetzt hat verdammt noch mal die Revolution begonnen! Nun bricht der Kapitalismus zusammen!‹ In dem Augenblick begegnete ich Baddes Blick. Er war geschockt und starrte uns an. Aschfahl wie eine Leiche.«
»›Wer sendet mir diesen Gedanken?‹«, sagte Sara Svenhagen langsam. »›Weil nur die Toten frei von hier wegkommen, so will ich den Platz des Toten einnehmen.‹«
»Das ist ein Zitat aus dem Grafen von Monte Christo «, stellte Marina Ivanova sichtlich erstaunt fest.
»War Badde aktiv an der Themenwahl für Ihre Abhandlung beteiligt?«, fragte Kerstin Holm.
»Badde und ich haben andauernd über Dumas und den Grafen von Monte
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