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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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erneut.
    »Viele Jahre lang lebte ich mehr in diesen Zwängen als in Schweden.«
    »Doch dann kam die Teenagerzeit, die Pubertät und der lebensnotwendige Aufruhr gegen die Eltern ...«
    »So könnte man die Sache vereinfacht ausdrücken«, meinte Ivanova herablassend.
    »Und wie sah dieser Aufruhr aus?«, fragte Kerstin Holm unberührt.
    »Es war ein politisches Erwachen. Die Neunzigerjahre waren eine bemerkenswerte Zeit für die Entwicklung eines politischen Bewusstseins. Die große Verflachung der Menschheit hatte gerade begonnen. Dokusoaps, Medialisierung aller Lebensbereiche, Internetpornografie und die Herabwürdigung jeglichen kritischen Denkens. Man landete sozusagen automatisch in einer sehr kleinen Minderheit denkender Geschöpfe. Also nahezu in einer Art Sekte.«
    »Und dieses Erwachen führte Sie dann zum Studium der praktischen Philosophie?«
    »Ein freier Student sucht sich immer das Fach aus, in dem er private Probleme hat. Psychologiestudenten haben psychische Probleme, Theologiestudenten haben Probleme mit Gott und Sprachstudenten Probleme mit der Sprache. Ich hatte Probleme mit der Moral. Deshalb praktische Philosophie.«
    »Und welche Art von Problemen?«, fragte Holm.
    »Einen gewissen Hang zum totalitären Denken«, antwortete Ivanova. »Als junger Mensch war ich felsenfest davon überzeugt, dass die Welt unter dem Einfluss des Kapitalismus vollkommen verloren sei. Es kam mir unendlich bizarr vor, dass man etwas so Irrelevantes wie Geld jeden noch so unbedeutenden Bereich unseres Lebens regieren ließ. Weisheit und Lehre hatten keine Bedeutung, Empathie und Mitgefühl noch weniger, während sich in einer Zivilisation, die in den Todeszuckungen lag, eine monumentale Gier auszubreiten begann. Keinen kümmerte es, dass die öffentlichen Plätze von Bettlern bevölkert wurden. Der Kapitalismus sorgte dafür, dass wir mit anderen Dingen beschäftigt waren, nämlich unsere eigenen Portemonnaies zu füllen. Während alles teurer wurde, mussten wir jede freie Minute damit verbringen, dem Geld hinterherzujagen. Das war es, was man anstrebte: Egoisten auszubilden – ihnen würde die eskalierende Ungleichheit nicht nahegehen. Das war der heimliche Traum des Kapitalismus, den Bürger zum passiven Konsumenten zu machen. Ich war davon überzeugt, dass die einzige Lösung ein starker Staat ohne Gewinninteressen wäre. Jegliche Politik müsste neu überdacht werden. Und die Einzigen, die je richtig gedacht hatten, waren die Kommunisten.«
    »Und darin lag das Problem?«
    »Es war ein rein praktisches Problem. Theoretisch war alles bestens. Aber ich hatte ein Problem mit dem praktischen Funktionieren kommunistischer Gesellschaften. Warum ist aus den besten Vorsätzen immer nur Schlechtes hervorgegangen?«
    »Und da kamen die praktische Philosophie und der ›Rote Didde‹ ins Spiel?«
    Während der Stille, die nun folgte, zeigte sich ein merkwürdiges Phänomen. Dozentin Marina Ivanova errötete. Man kann nicht gerade sagen, dass ihr Blick flackerte – das wäre übertrieben –, aber ihre gesamte Erscheinung wurde irgendwie weicher.
    »Darum geht es hier also?«, fragte sie schließlich.
    Holm stellte eine Gegenfrage: »Im August 2001 begannen Sie, praktische Philosophie in Göteborg zu studieren. Und was haben Sie vorher studiert?«
    »Soziologie«, antwortete Ivanova. »Aber wir kamen zu dem Schluss, dass das politische Denken noch einen Schritt weitergehen musste. Soziologie war eine rein deskriptive Wissenschaft. Sie analysierte die Welt, veränderte sie aber nicht. Wenn überhaupt, generierte sie Protest, aber niemals Widerstand.«
    »Und haben Sie diesen Widerstand dann beim ›Roten Didde‹ gefunden?«
    »Ja, das habe ich«, gab Marina Ivanova zu und errötete noch mehr. »Er war ziemlich überzeugend. Sehr enthusiastisch, sehr leidenschaftlich. Er verankerte meine Gedanken im praktischen Handeln. Für ihn war nichts unmöglich. Er war ... beeindruckend.«
    »Und Sie haben sich in ihn verliebt?«
    »Ja, so in der Art«, antwortete Marina Ivanova, während ein Lächeln über ihr Gesicht huschte. »Vielleicht verliebt, vielleicht hat er mich aber auch nur verführt. Ich bin jedenfalls mit ihm in die Provence gefahren.«
    Zum ersten Mal seit Langem wechselten Kerstin Holm und Sara Svenhagen einen Blick.
    Kerstin sah, wie es bei Sara klick machte. Wie der Groschen fiel. Sie zeichnete sich nicht gerade durch ein Pokerface aus, dachte sie.
    Sara fragte: »›Wir?‹«
    »Was meinen Sie?«, fragte Ivanova

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