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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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denn die Zeiten damals waren ja sehr politisch. Dennoch haben wir uns ausgezeichnet verstanden. Der Giorgio, an den ich mich erinnere, war schlicht und einfach ein netter Typ. Unkompliziert. Aber ich habe ihn seit Mitte der Siebzigerjahre nicht mehr gesehen. Wir haben uns aus den Augen verloren, wie das halt so ist.‹«
    »Eine ziemlich gehaltlose Aussage«, bemerkte Bouhaddi. »Wofür haben sie ihn eigentlich gebraucht? Der Mann war doch bereits tot.«
    Navarro tippte auf seinem Computer. »Wir müssen natürlich noch mehr über die Voruntersuchungen und den Prozess in Erfahrung bringen«, sagte er. »Aber hier finde ich nur Zeitungsartikel. Wie gut ist dein Portugiesisch?«
    »Geht so«, antwortete Bouhaddi. »Ich habe einen Kurs belegt, denn ich lebe ja allein, ohne Sex. Ich habe Zeit.«
    Navarro lachte auf und vergrößerte den Zeitungstext.
    Bouhaddi las und fasste zusammen: »Es gab offenbar einen Verdächtigen. Einen Studenten, der sich zur gleichen Zeit auf Ilha Grande aufhielt und öffentlich kundgetan hatte, dass er Giorgio Sansotta hasste. Er bezeichnete ihn als ›einen extrem unsympathischen Menschen, er war ein Politoffizier‹. Sansottas Angehörige gingen an die Decke und ließen eine ganze Schar Zeugen einberufen, die aussagen sollten, wie herzensgut Giorgio doch gewesen sei, darunter auch seinen Jugendfreund Udo Massicotte, der damals als Arzt für plastische Chirurgie in Rio tätig war. Der Student wurde jedenfalls mangels Beweisen wieder freigelassen. Der Mord wurde nie aufgeklärt.«
    »Politoffizier?«, fragte Navarro.
    »Politkommissar«, erklärte eine Stimme von der Seite her.
    »Wie bitte?«, fragte Navarro und drehte sich um.
    Arto Söderstedt schaute über seine zusammengeflickte Lesebrille hinweg von seinem Computer auf und erklärte: »Der Begriff wurde nach der Russischen Revolution von Trotzki eingeführt, als man Offiziere umerziehen wollte, die unter dem Zar gedient hatten. Aber das Wort ›Politoffizier‹ wurde ebenfalls ganz allgemein für verblendete kommunistische Ideologen benutzt. Gibt es bei euren Brasilianern Anzeichen dafür?«
    Navarro fixierte wieder den Bildschirm.
    Schließlich antwortete er: »Ja, es gibt gewisse Anzeichen. Sansotta stand in den Achtzigerjahren Lula ziemlich nahe.«
    »Lula?«, fragte Söderstedt. »Der damals amtierende brasilianische Präsident? Wie heißt er noch, da Silva?«
    »Genau«, antwortete Navarro, »Luiz Inácio da Silva alias Lula wurde als Sohn armer Bauern geboren, die nicht lesen und schreiben konnten, und entwickelte sich in den Siebzigerjahren während der brasilianischen Militärdiktatur zu einem energischen Gewerkschaftskämpfer. Und als er später, in den Achtzigerjahren, die Partei gründete, die schließlich zur größten linken Partei Brasiliens wurde, stand Giorgio Sansotta als marxistischer Theoretiker an seiner Seite. Doch Sansotta war angeblich zu radikal für jede Form der Realpolitik, und man zwang ihn, klammheimlich die Partei zu verlassen.«
    »Da haben wir doch die Verbindung«, sagte Bouhaddi und zeigte eifrig auf Navarros Bildschirm. »Drei Kommunisten.«
    »Noch dazu führende Kommunisten«, rief Jutta Beyer aus, die neben Söderstedt saß. »Die aktiv Propaganda betrieben. Ich habe gerade einige der frühen Artikel von Rudi Schrempf in Agit 883 und in konkret gelesen. Er war wirklich durch und durch revolutionär. Er hat sich nicht einmal von den Gewalttaten der RAF distanziert. Auch später nicht, als er mehr zum traditionellen Journalismus überging.«
    »›In einer kapitalistischen Gesellschaft gibt es keine Unschuldigen‹«, zitierte Arto Söderstedt und zog eine düstere Grimasse.
    »Aber geht es nicht genau darum?«, fragte Beyer. »Beschäftigen wir uns nicht mit der ›Schuld der Linken‹?«
    »Angesichts des äußerst sympathischen Gleichheitsgedankens, der dem Sozialismus zugrunde liegt, ist es frappierend, wie viele Menschen doch in der einen oder anderen Situation eine Neigung zu totalitären Denkweisen haben«, antwortete Söderstedt. »Oftmals handelt es sich ja um reine Frustration. Wie intensiv man auch diskutiert, man kann die Macht nicht überlisten, man muss die Macht erzwingen. Man verleibt sich die Macht ein. Man wird mächtig. Und beginnt zu denken wie ein Mächtiger.«
    »Und wie steht es diesbezüglich mit Roman Vacek, unserem tschechischen Eurokommunisten?«, fragte Beyer. »Was sagt ihr dahinten, die ihr ihn näher unter die Lupe genommen habt?«
    Laima Balodis und Miriam Hershey

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