Zorn: Thriller (German Edition)
Stunden Flug«, brummte Söderstedt. »Klar, ich beeile mich.«
Damit war er verschwunden.
»Waren das alle?«, fragte Hjelm.
»SMS von Balodis, Beyer und Kowalewski«, antwortete Navarro. »Ihnen ist es nicht gelungen, eine Videoverbindung herzustellen. Und Bouhaddi hat sich verspätet. Möglicherweise wird sich ihre Aufzeichnung verzögern.«
»Und was sagen sie?«
»Balodis ist auf der Île du Diable, in Französisch-Guayana«, las Navarro vor. »Blaues Wachstuch und ein französischer Text.«
Paul Hjelm warf der namenlosen Französin einen raschen Blick zu, die zu ihnen herantrat und umgehend übersetzte: »›Ich fürchte mich noch mehr vor den Verwünschungen der Toten als vor dem Hass der Lebenden.‹«
»Das Rachemotiv wird immer deutlicher, je weiter wir uns in die Vergangenheit begeben«, sagte Hjelm. »Unser Mann mit dem Schnauzbart rächt die Toten. Es sind die Verwünschungen der Toten, die unsere Opfer fürchten müssen. Noch mehr?«
»Kowalewski teilt mit, dass er sich dummerweise mitten in der Monsunzeit für den Südwesten Thailands entschieden hat«, berichtete Navarro. »Er schreibt: ›Gefängnisruinen im Schlamm. Sturm und Regen. Ein Höllentag. Blaue Wachstuchrolle mit Text nach acht Stunden gefunden.‹ Dann eine neue SMS mit folgendem Zitat«, Navarro hielt der Französin das Handy hin.
»Der Ärmste«, rief die namenlose Französin spontan aus, als sie einen Blick auf das Display geworfen hatte, und übersetzte: »›Wenn Sie leiden, wenn Sie das Gesicht, das Gehör, das Gefühl verlieren, so fürchten Sie nichts; wenn Sie wieder erwachen, ohne zu wissen, wo Sie sind, so hegen Sie keine Furcht, sollten Sie sich auch beim Erwachen in irgendeiner Begräbnisstätte oder in einen Sarg genagelt befinden.‹«
»Was ist das denn?«, fragte Hjelm geradeheraus.
»Ein Versprechen?«, mutmaßte Navarro.
»Ein Versprechen wofür?«, fragte Hjelm.
Alles schwieg. Schließlich nickte Hjelm Navarro zu.
Ein Mausklick, dann erklärte der: »Jutta Beyer schreibt von der Ilha Grande vor Rio: ›Altes blaues Wachstuch. Steckte seit mehr als sieben Jahren zwischen den Mauersteinen einer Zelle. Leicht verwischter, aber lesbarer Computerausdruck.«
Navarro druckte die Botschaft aus und reichte sie der Französin, die wieder direkt übersetzte: ›Ich für meine Person fühle mich nicht fähig, noch länger solche Geheimnisse zu tragen, ohne die Hoffnung, bald die Rache für die Gesellschaft und für die Opfer zu erleben.‹«
»Rache«, wiederholte Hjelm. »Das ist das Schlüsselwort. Sowohl für die Gesellschaft als auch für das Individuum und die Geheimnisse, die enthüllt werden müssen.«
»Das war Opfer Nummer zwei«, erklärte Navarro. »Ich bin gespannt, was wir beim allerersten Opfer finden.«
Er ließ den großen Bildschirm aufblitzen, und Corine Bouhaddi wurde sichtbar, schlicht und einfach vor einer Steinmauer stehend.
»Hallo, Corine«, sagte Hjelm. »Wie ist es auf If?«
»Wunderbar«, antwortete Bouhaddi. »Herrliches Frühsommerwetter am Mittelmeer. Entschuldigt die Verspätung. Transportprobleme.«
»Hast du alle bisherigen Zitate erhalten?«, fragte Hjelm. »Felipe müsste sie dir zugemailt haben.«
»Danke, sie sind eines nach dem anderen eingetrudelt. Ich habe gerade alle gelesen. Faszinierend.«
»Und jetzt hoffe ich inständig, dass du ebenfalls eines beitragen kannst. Das Ursprungszitat.«
»Also übersetze ich es euch am besten direkt, oder?«, entgegnete Bouhaddi. »Wenn ich es richtig verstanden habe, waren alle in blaues Wachstuch gewickelt, nicht wahr?«
»Korrekt«, antwortete Hjelm.
»Dieses hier auch, allerdings ist das Wachstuch ausgeblichen. Es enthielt folgenden Text«, Corine übersetzte direkt für ihre Kollegen: »›Und jetzt‹, sagte der unbekannte Mann, ›lebt wohl, Güte, Menschenfreundlichkeit, Dankbarkeit ... lebt wohl, ihr sämtlichen Gefühle, die das Herz aufgehen lassen! ... Ich habe mich an die Stelle der Vorsehung gesetzt, um die Guten zu belohnen ... Jetzt möge der Gott der Rache mir sein Amt abtreten, um die Bösen zu bestrafen!‹«
»Um die Bösen zu bestrafen!«, wiederholte Paul Hjelm mit Nachdruck.
»Als Didier Girault starb, studierte ich noch an der Polizeihochschule«, sagte Bouhaddi. »Aber dort haben wir nichts davon gehört.«
»Unser Mörder kam also dorthin, als er zum ersten Mal mordete«, meinte Hjelm. »Auf die berühmte Insel If des Grafen von Monte Christo. Hast du darüber schon genauer nachgedacht,
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