Zorn: Thriller (German Edition)
wohl für die Vervollkommnung und Vorbereitung seiner Pläne genutzt. Das, was er bei Antebellum entdeckte, hat ihm möglicherweise die Tür für seine Rückkehr nach Paris im Jahr 2005 geöffnet, um dort die Spuren seiner Vergangenheit zu verwischen. Es ist die Vorbereitung für sein Projekt.
Mangels weiterer Spuren in den USA in den betreffenden Jahren sind wir nach Paris zurückgekehrt, um den Mord an Jacques Rigaudeau näher zu untersuchen. Offiziell ist Rigaudeau allerdings gar nicht ermordet worden; er verschwand lediglich im Oktober 2005 während der Aufstände im Vorort Clichy-sous-Bois. Genau wie nach Nine-Eleven herrschte dort ein dermaßenes Chaos, dass man den Ermittlungen im Fall des Gelegenheitsverbrechers Rigaudeau keine höhere Priorität beimaß. Er verschwand spurlos aus seinem traurigen Kaff und wurde nie wieder gesehen.
Ein Fund in Jacques Rigaudeaus Wohnung hingegen ist durchaus von Interesse. Man ignorierte ihn zwar bei der französischen Polizei, aber für uns ist er essenziell. An der Flurwand der mit DNA übersäten Wohnung Rigaudeaus fand sich ein Tropfen einer unbekannten Substanz. Wenn die Krawalle nicht stattgefunden hätten, wäre der Tropfen höchstwahrscheinlich zur Analyse geschickt worden, aber so unterblieb es. Was hingegen auf der Polizeistation in Clichy-sous-Bois aufbewahrt wurde, war ein kleines ausgeschnittenes Stück Tapete in einem hermetisch verschlossenen Plastiktütchen. Unsere Analyse der erwähnten Substanz, die wir gefunden haben, gibt eindeutigen Aufschluss darüber, dass es sich um ein sogenanntes »Multigift« ohne spezielle Bezeichnung handelt. In einer früheren Form hieß dieses Gift Protobiamid.
Angesichts der weiteren Entwicklung der Ereignisse kann man bereits zu diesem Zeitpunkt eine vorläufige Schlussfolgerung ziehen.
Das Gift Protobiamid war ursprünglich ein Stoff, der bei der Reaktion mit Eiweiß – beispielsweise Sperma – einen starken Juckreiz verursachte. Weiterhin führte er bei oraler Einnahme zu starken paranoiden Wahnvorstellungen und dann zum Tod. In einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium ist die Substanz zu einem starken, unmittelbar wirkenden »Multigift« avanciert. Die chemische Zusammensetzung dieses Giftes, das an der Flurwand von Jacques Rigaudeaus Wohnung in Clichy-sous-Bois gefunden wurde, unterscheidet sich jedoch erheblich von der Substanz, die einige Monate später beim ersten Opfer in der Serie zur Anwendung kam. Denn dort erzielte es eine noch schnellere Wirkung. Die chemischen Grundbestandteile sind zwar dieselben, doch das Mischverhältnis ist verfeinert worden. Wir stellen uns allerdings die Frage, in welcher Form.
Wir sind uns absolut im Klaren darüber, dass wir es hier nicht mit einem gewöhnlichen Gegner, sondern mit einer außergewöhnlichen Person zu tun haben. Gleichwohl fand sich dieses Gift zwischen den Strümpfen in der Kommode eines Zwölfjährigen, als die Haushälterin Anaïs Criton sie durchwühlte. Wie außergewöhnlich begabt dieser Zwölfjährige auch gewesen sein mag, er kann die Substanz nicht eigenhändig hergestellt haben. Hier müssen Sie uns korrigieren, wenn wir falschliegen – aber wir vermuten, dass irgendein Erfinder ihm geholfen hat. Wenn auch kein Erfinder im ursprünglichen Sinne, der dem jungen W beigebracht hätte, das Gift zu entwickeln, sodass er die Jahre nach Nine-Eleven in absoluter Anonymität dazu nutzen konnte, die Formel zu verbessern – so doch im besten Fall ein Helfer, ein Freund, der Chemiker ist und der W im Laufe der Jahre zumindest dabei unterstützt hat, das Gift zu verfeinern. Diesen Chemiker zu finden wird unsere nächste Aufgabe sein. Denn wir gehen davon aus, dass weitere Nachforschungen erwünscht sind.
Jetzt blieben nur noch einige wenige Monate, bis die Musik abrupt verstummte und ein Stuhl weggezogen wurde. Derjenige, der rücklings auf den Boden fiel, war Professor Andrew Hamilton III.
Wie gewöhnlich warten wir weitere Instruktionen ab.
Eingrenzung
Den Haag, 25. Mai
Paul Hjelm räusperte sich und sah Corine Bouhaddi an.
»So muss es gewesen sein«, erklärte Bouhaddi mit Nachdruck. »›Wer sendet mir diesen Gedanken?‹ Wer, das wissen wir noch nicht, aber was geschehen ist, scheint klar zu sein. Hier hat ein Wandel stattgefunden von einem Leben in Güte und Menschenfreundlichkeit – von dem so viele zu träumen scheinen, wenn sie anfangen, Philosophie zu studieren – zu einem Leben, das geprägt ist von Rache und Strafe. Dieser Wandel muss in Göteborg
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