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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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fuhr sie nach einer kurzen Pause fort, »was macht jemand, der nicht schwul ist, in einer Schwulenbar?«
    »Das ist eine sehr gute Frage.« Zorn hatte keinen Schimmer, was er jetzt sagen sollte. Er setzte umständlich zu einer Erklärung an und machte dabei eine weit ausholende Handbewegung, mit der er unabsichtlich sein Glas streifte.
    Es gibt Momente, in denen die Zeit schneller zu vergehen scheint. Meist sind es die schönen Augenblicke, in denen die Sekunden dahinrasen, ohne dass wir es bemerken. Hässliche, unangenehme Zeitpunkte dagegen scheinen sich ins Unendliche zu dehnen, und so stand Zorn da und sah zu, wie das Glas umkippte und in einem eleganten Halbkreis langsam, leise klappernd, wie in Zeitlupe über den Bartisch rollte. Zorn wusste, was nun folgen würde, und doch stand er da, unfähig, sich zu bewegen oder einzugreifen. An der Kante verhielt das Glas kurz inne, so, als könne es sich nicht entscheiden, dann verlagerte sich der Schwerpunkt. Eine Sekunde lang war es still. Dann zerschellte es auf dem Fußboden.
    Jetzt sprang er auf. Der Rest des Mai Tai hatte sich zuerst über den Tresen und dann über Malinas Jeans ergossen. Es krachte erneut, als sein Barhocker zu Boden ging und dabei den Nachbarstuhl umriss.
    »Scheiße«, murmelte Zorn, als der Lärm sich ein wenig gelegt hatte. »Scheiße.«
    Mehr fiel ihm nicht ein.
    In der Bar wurde es still, es schien, als würden sämtliche Anwesenden in ihre Richtung schauen. Malina sah erst auf ihre durchnässte Hose und dann zu Zorn. Sie stemmte die Arme in die Hüften, räusperte sich kurz und sagte: »Kann es sein, dass du manchmal ein wenig neben der Spur bist, Claudius Zorn?«
    »Tut mir leid.« Zorn kam sich vor wie ein begossener Pudel. »Das war echt nicht mit Absicht.«
    »Wär ja noch schöner.« Sie nahm das Handtuch, mit dem sie eben noch die Gläser poliert hatte, und begann, ihre Jeans trockenzuwischen. »Also«, fuhr sie dann fort. »Was machst du hier?«
    Zorn suchte noch immer nach einer plausiblen Ausrede, doch er wurde unterbrochen.
    »Kann ich behilflich sein?«
    Aus dem hinteren Teil hatte sich ein kräftiger, hochgewachsener Mann genähert, der ungefähr in Zorns Alter zu sein schien. Das dichte, kurz geschnittene Haar war grau, fast weiß, er trug einen schwarzen Rollkragenpullover, und als er Zorn lächelnd die Hand reichte, entblößte er eine Reihe großer, ebenmäßiger Zähne, die irgendwie wirkten, als seien sie aus Plastik.
    »Guten Tag. Stapic«, stellte er sich vor. »Mir gehört der Laden. Gibt es ein Problem?«
    Er sprach leise, wie jemand, der es seit langem gewohnt ist, Anweisungen zu geben. Zorn meinte, einen leichten Akzent wahrzunehmen. Nein, überlegte er dann, kein Akzent, eher eine ungewöhnliche Satzmelodie, die zeigte, dass Deutsch nicht seine Muttersprache zu sein schien. Zorn räusperte sich, ergriff die Hand und drückte sie kurz.
    »Es gab einen kleinen Unfall, war meine Schuld.«
    Stapic warf Malina einen fragenden Blick zu.
    »Alles okay«, sagte sie knapp.
    Es entstand eine kleine, unangenehme Pause. Stapic musterte Zorn unverhohlen von oben bis unten. Obwohl er die ganze Zeit lächelte, war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht sicher war, was er von Zorn zu halten hatte.
    »Schicke Aquarien«, sagte Zorn.
    Stapic schwieg. Und lächelte weiter.
    Zorn erkannte, dass er wesentlich älter sein musste, als er im ersten Augenblick angenommen hatte. Um Augen und Mundwinkel waren tiefe, winzige Fältchen zu sehen, die zeigten, dass dieser Barbesitzer um die fünfzig sein musste, mindestens.
    Dann klappte hinten eine Tür, und Schröder näherte sich mit raschen Schritten. Er schien seine Taktik geändert zu haben, die Ledermütze hatte er abgenommen, kam zielstrebig zum Tresen, knallte seinen Dienstausweis auf den Tisch und sagte mit normaler Stimme: »Schluss mit der Maskerade. Das ist Hauptkommissar Zorn, mein Name ist Schröder, und wir suchen«, er kramte aus seiner Hemdtasche ein Foto hervor und legte es neben den Ausweis, »diesen Mann.«
    Zorn überlegte kurz, ob er wütend werden sollte, entschied sich dann aber dagegen. Der dicke Schröder hatte recht, mit diesem Undercover-Quatsch kamen sie hier nicht weiter.
    Malina runzelte die Stirn. »Du bist Polizist?«
    »Ja.« Zorn wies mit dem Kinn auf Schröder. »Er auch.«
    Stapic griff Schröders Ausweis und betrachtete ihn nachdenklich.
    »Darf man fragen, worum es geht, Herr Kommissar?«
    »Darf man fragen, wer Sie sind?« Schröder war jetzt ganz

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