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Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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aufhalten.
    Nach ungefähr fünfzig Metern blieb er stehen. Seitlich vor ihm erkannte er eine hölzerne Leiter, die am Stamm einer dicken Kiefer nach oben führte. Er sah auf.
    Ein Hochstand.
    Etwas verwittert zwar, aber offensichtlich stabil. Zwischen den Bäumen verborgen und von der Bikerstrecke aus nicht zu sehen.
    Von dort oben hatte man einen wunderbaren Blick auf die Stelle, an der Björn Grooth gestorben war. Ein Logenplatz, sozusagen.
    Zorn ballte triumphierend die Faust.
    Hier hast du dich versteckt. So ist es doch, oder?
    Ich bin ein Medium, ich hab den sechsten Sinn.
    Scheiße, dachte Zorn. Ich bin genial. Einfach nur genial.
    Dann stieg er hinauf.
    *
ihr haltet euch für klug, aber ihr seid dumm, so dumm, ich will nicht mehr darüber nachdenken, nicht über euch, nicht über mich, ich mache die augen zu, ich will nichts mehr sehen, nicht denken, jetzt nicht
ich bin weg
ich komme wieder
ihr seid so dummdummdummdummdumm
    *
    Die Treppe war morsch, die Stufen bogen sich unter Zorns Gewicht, hielten aber stand. Er erreichte eine kleine, aus rohen Eichenbohlen zusammengenagelte Plattform. Am Rand blieb er stehen, bemüht, nichts anzufassen. Die Spurensicherung sollte diesen Ort so unberührt wie möglich vorfinden.
    Zorn befand sich fünf Meter über der Erde. Unter ihm lief die Schneise direkt auf die Bikerstrecke zu. Ein großer Teil wurde von den Bäumen verdeckt, doch die Stelle, an der der Mord geschehen war, konnte man deutlich erkennen.
    Tatsächlich, ein Logenplatz.
    Und gleichzeitig ein ideales Versteck.
    Hab ich dich, dachte Zorn. Hier hast du gestanden und gewartet, wie beim Zieleinlauf eines Formel-1-Rennens.
    Zorn begann die Plattform abzusuchen, nach einer Zigarettenkippe oder etwas Ähnlichem. Da war natürlich nichts, nur in Filmen oder Büchern hinterließ der Täter an einem solchen Ort einen Hinweis auf seine Identität. [1]   So dumm konnte niemand sein, es sei denn, er wollte spielen, seine Überlegenheit zeigen oder …
    Da war etwas.
    Der Boden des Hochsitzes bestand aus Brettern, die in kleinen Abständen auf zwei Querbalken genagelt waren. Etwas Rundes schimmerte grünlich auf dem vom Wetter geschwärzten Holz. Es war nicht groß, vielleicht zwei Zentimeter im Durchmesser. Fast sah es aus, als würde es leuchten.
    Eine Brosche? Ein Anhänger?
    Ich hab’s gewusst, knurrte Zorn, bückte sich und griff zu.
    Doch sein Griff ging ins Leere.
    Das, was da zu ihm empor geleuchtet hatte, war ein schnödes Astloch. Der von unten hindurchschimmernde Waldboden hatte dem kurzsichtigen Hauptkommissar vorgegaukelt, ein Schmuckstück oder etwas Ähnliches entdeckt zu haben.
    Zorns anfängliche Euphorie wich einer dumpfen Resignation.
    Was bildete sich dieser Kerl ein? Er, Claudius Zorn, hatte sich durchs Unterholz gekämpft, seine Schuhe waren zerkratzt, die Jeans staubig, jetzt stand er schnaufend auf diesem verdammten Hochsitz und was hatte er gefunden?
    Nichts!
    Trotzdem, dachte der genervte Hauptkommissar, nachdem er im Präsidium angerufen und einen Trupp der Spurensicherung herbestellt hatte, ich weiß, dass du hier warst. Genau hier hast du gestanden und zugesehen, wahrscheinlich hattest du ein Fernglas dabei.
    »Pff!«, machte Zorn – ein trotziges Schnauben, das er schon als kleiner Junge von sich gegeben hatte, wenn etwas nicht nach seinem Willen lief.
    Irgendwas werden wir finden. Wenn nicht ich, dann die Leute von der Spurensicherung.
    Dann stieg er hinab und fuhr nach Hause.
    *
    Und nun?, dachte Zorn, als er daheim auf seinem Sofa hockte. Was mach ich jetzt? Er hatte die Post ungelesen auf den Tisch geworfen, ein sinnloser, bunter Haufen Papier, den er später durchsehen würde.
    Er hatte Hunger, aber er war zu faul, in die Küche zu gehen. Im Kühlschrank war eh so gut wie nichts zu finden, außer ein paar Kiwis (ein Anblick, auf den er nicht sonderlich scharf war, geschweige denn auf den Geschmack) und zwei, drei Eiern. Immerhin, wenn es gar nicht anders ging, konnte er sich wenigstens ein Omelett braten.
    Nein, brummte er und legte die Beine hoch, ich werde jetzt nicht an die Morde denken. Morgen ist auch noch ein Tag, ich hab Feierabend, soll sich Schröder um den ganzen Krempel kümmern.
    Beim Gedanken an den dicken Schröder erfasste ihn leichtes Unbehagen. Nicht etwa, weil dieser wieder einen Großteil der Arbeit zu erledigen hatte, das war normal.
    Schröder hatte sich verändert. Seit er aus dem Krankenhaus zurück war, stimmte etwas nicht. Er war stiller geworden, ernster.

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