Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
weiter. Aber da müssen Sie durch. Schließlich sind Sie es, der die Ermittlungen leitet.«
»Nee«, wehrte Zorn ab. »Ich mach so was nicht. Da soll sich Schröder drum kümmern.«
»Ich?« Der dicke Schröder riss die Augen auf. »Das würd ich gern, aber diese Ehre gebührt eindeutig dir, Chef. Ich war ja gar nicht anwesend.«
Dieser kleine, treulose Verräter! Zorn spürte eine unangenehme Wärme in seinen Wangen aufsteigen. Ist das der Dank? Ich hab dir eben den Arsch gerettet, und du lässt mich hier im Regen stehen!
»Herr Schröder hat recht«, entschied die Staatsanwältin.
Du kannst mich mal. Ihr beide könnt mich, dachte Zorn und erwiderte höflich: »Wie Sie meinen, Frau Borck.«
»Dann sind wir uns also einig. Sie kriegen das schon hin, Herr Hauptkommissar. Wenn Anfragen von der Presse kommen, werde ich Sie informieren. Ich erwarte, dass Sie sich bereithalten. Wir haben selten Gelegenheit, in der Öffentlichkeit gut dazustehen, dies ist eine. Das müssen wir nutzen. Sie werden das nicht vermasseln.« Frieda Borck stand auf und reichte erst Schröder, dann Zorn die Hand. »Das wäre erst einmal alles. Wenn wir Glück haben, ist die Sache morgen Abend ausgestanden. Dann können Sie sich mit Ihrem nächsten Fall befassen.«
Zorn hatte nicht das geringste Interesse, fragte aber trotzdem: »Was wäre das?«
»Pfandflaschenbetrug.«
»Wie bitte?«
»Man kopiert die Strichcodes von Mehrwegflaschen und klebt sie auf alles Mögliche, um das Pfand zu kassieren. Ein besonders cleverer Bursche hat auch alte Spraydosen benutzt, so ein Ding ist explodiert und hat den Automaten in einem Supermarkt an der Magistrale zerstört.«
»Haben wir einen Verdächtigen?«
»Ja, es gibt eine Videoüberwachung. Es handelt sich wohl um einen Klavierstimmer, der nebenbei als Kinderclown auftritt.«
Schröder warf sich in die Brust.
»Auch dieses Verbrechen werden wir lösen, Frau Staatsanwältin.«
»Ja«, bestätigte Zorn. »Ich kann’s kaum erwarten.«
Frieda Borck öffnete die Tür zum Zeichen, dass die Besprechung beendet war.
Nun geschah etwas, mit dem Claudius Zorn selbst in seinen wildesten Träumen nicht gerechnet hätte. Zunächst registrierte er das Vibrieren in seiner Hosentasche. Dann erklang etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne, für diese Erde, auf der wir wohnen!
Der neue Klingelton. Dumpf, aber unüberhörbar, auf volle Lautstärke gestellt.
Schröder wich unauffällig ein paar Schritte zurück.
Das kann nicht sein, dachte Zorn. Er hat mir das schlimmste Lied der Welt aufs Handy geladen. Nein, das kann er sich nicht getraut haben.
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Freude, ein bisschen Wärme, das wünsch ich mir!
»Ihr Telefon klingelt.« Frieda Borck schloss die Tür wieder. »Das ist doch Ihr’s, oder? Wollen Sie nicht rangehen?«
Zorn war völlig perplex und holte das Handy hervor.
Sing mit mir ein kleines Lied!
Jetzt war es doppelt so laut. Zorn starrte aufs Display, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt. Die Nummer war unterdrückt, aber das war egal.
Dass die Welt in Frieden lebt!
Lass es aufhören, dachte Zorn. Lieber Gott, lass es aufhören. Ich tue alles, was du willst, ich werde wieder katholisch. Ich geh auch ins Kloster, ich fasse nie wieder eine Frau an, aber lass diesen Moment vergehen. Jetzt!
Dieses Angebot schien den lieben Herrgott wenig zu interessieren, denn das Telefon plärrte weiter:
Ein bisschen Frieden, ein bisschen Träumen, und dass die Mensch…
Dann war es endlich vorbei.
Zorn nahm alle Kraft zusammen. Jetzt kam es darauf an, sich nichts anmerken zu lassen, das war die einzige Möglichkeit, wenigstens halbwegs unbeschadet aus diesem Albtraum davonzukommen. Er zuckte die Achseln, steckte das Telefon ein und sagte nebenbei: »Meine Mutter. Ich ruf sie später zurück.«
Frieda Borck musterte ihn misstrauisch von Kopf bis Fuß.
»Sie haben einen ausgefallenen Musikgeschmack, Herr Hauptkommissar.«
»Mir gefällt’s!«, rief Schröder freudestrahlend.
»Wirklich?«, wunderte sich die Staatsanwältin.
»Ach, Sie meinen den Klingelton?« Zorns Verwunderung wirkte fast echt. »Was haben Sie denn gegen Schlager? Und Nicole ist eine tolle Frau.«
»Wer?«
»Nicole«, half Schröder aus dem Hintergrund. »Sie hat mit dem Song den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson gewonnen.« Er zog die französischen Worte genüsslich in die Länge. »Das war 1982, glaub ich. Damals ist sie immer mit
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