zorneskalt: Thriller (German Edition)
durch meine Gedanken. Eine Hand rüttelte sanft an meiner Schulter. Ich hörte ein Gewirr von Wörtern. Mein Gehirn mühte sich ab, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen.
» Du musst dich fertig machen, Rachel, sie schalten dich in ein paar Minuten live zu. Direkt nach dem Bericht über die Pressekonferenz.«
Ich wartete. In meinem Kopf kippte etwas, dann kam eine Explosion. Ich kreischte, glaube ich, nicht laut, sondern innerlich, wo alles passierte. Ich sah zu der über mich gebeugten Gestalt auf. Die vertrauten Gesichtszüge, die Augen wie Bitterschokolade, die in die Stirn fallenden Locken. Dieser » Surfer bei der Arbeit«-Look. Jake Roberts, mein Produzent. Seine Gegenwart gehörte zu einem anderen Tag. Zu den übrigen, an denen wir als Team zusammenarbeiteten, an denen ich funktionieren und meine Arbeit tun konnte.
Jake drückte mir einen rechteckigen schwarzen Kasten in die Hand. » Schließ dich an, sie sind in wenigen Minuten bei dir.«
Ich betrachtete das Gerät in meiner halb ausgestreckten Hand. Den Empfänger, der mich mit dem Studio, mit dem Sprecher verband, damit ich ihn hören konnte. Der Kopfhörer mit der dünnen Litze war für mein Ohr bestimmt. Bei der Arbeit benutzte ich dieses Equipment täglich.
Er wollte, dass ich auf Sendung ging und über das Verschwinden einer jungen Frau sprach. Dass ich über dich sprach.
Ich konnte nicht einmal versuchen, Jake zu erklären, was passiert war. Die tektonische Verschiebung, die sich ereignet hatte. Nicht hier, nicht in der Minute, die mir noch blieb, bevor ich auf Sendung war. Wie dein Gesicht mir mehr als alle anderen zugesetzt hatte. Alle diese Frauen, Kinder, Mütter, Väter, blond, schwarz, lächelnd, griesgrämig, alle diese Leute, die » ein erfülltes Leben vor sich hatten«, aber nicht mehr lebten. Leute, die entführt, ermordet, überfallen worden waren. Ich hatte vor laufender Kamera über sie alle gesprochen. Hatte die Einzelheiten jeder einzelnen Story nüchtern geschildert, dabei Wörter wie grausig, Schock und brutal benutzt. Sie waren mir mühelos über die Zunge gekommen. Aber ich hatte niemals ernsthaft über die riesigen Krater nachgedacht, die solche Taten im Leben der Menschen zurückließen. Selbst wenn ihre Verwandten mit bleichen Gesichtern verzweifelt an die Täter appellierten, empfand ich nur schwache Gefühlsregungen, die rasch wieder abflauten. Dies waren Geschichten, deren Einzelheiten und Umstände unendlich weit von mir entfernt waren. Du dagegen hättest nicht näher sein können, Clara. Du warst real.
» Ich. Bin. Nicht. Fertig«, sagte ich.
Ich erwiderte nicht Jakes Blick, sondern starrte den Kopfhörer an. Er war nicht mein eigener. Diesen hier hatte schon jemand anders benutzt, das zeigte ein Krümel orangebraunes Ohrenschmalz. Ich konnte die Augen nicht davon abwenden. » Den kann ich nicht ins Ohr stecken, sieh ihn dir bloß an!«, rief ich.
» Scheiße, Rachel, tauschen können wir ihn nicht mehr.«
Ich musste aufgesprungen sein, denn ich merkte, wie der Kameramann den Empfänger an meinem Gürtel befestigte. » Sag ihnen, dass ich nicht fertig bin!« Ich fürchtete, ich könnte in Tränen ausbrechen, einfach zusammenklappen und mich einrollen und weinen, ohne mich darum zu kümmern, wer mich sah. Stattdessen biss ich mir noch mal tief auf die Unterlippe – in dem verzweifelten Wunsch, statt dieser lähmenden Taubheit Schmerzen zu spüren. Der kupfrige Blutgeschmack in meinem Mund bewies mir, dass ich durch die Haut gebissen hatte, aber ich spürte nicht das Geringste.
» Die Story ist der Aufmacher.« Jake sah, wie ich Halt suchend nach einer Stuhllehne griff, und ich hörte, wie seine Stimme sanfter wurde. » He, alles in Ordnung? Sie wollen, dass du auf Sendung bist, bevor der Reporter von Global drankommt. Du weißt schon, immer die Ersten mit den Nachrichten und dieser ganze Scheiß.« Er lächelte mich an, dann bückte er sich und wühlte in meiner Umhängetasche herum.
» Hier«, sagte er und hielt mir ein überquellendes schwarzes Kosmetiktäschchen hin, das alles enthielt, was ich für mein TV -Gesicht brauchte. » Klatsch ein bisschen Farbe drauf, wir wollen die Zuschauer doch nicht erschrecken. Ich frage mal nach, ob DCI Gunn bereit ist, vor der Kamera mit dir zu reden.«
Ich nahm das Täschchen entgegen und betrachtete mich im Spiegel meiner Puderdose. Kalkweiße Haut und bläuliche Lippen, die Unterlippe geschwollen, weil ich draufgebissen hatte. Blutunterlaufene Augen. Ohne viel zu
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