zorneskalt: Thriller (German Edition)
diesem Augenblick spürte ich jemanden neben mir, drehte mich halb um und sah dort Jake mit DCI Gunn stehen, Jake knapp außerhalb des Bildes. Mein Lebensretter. Jetzt konnte er das Reden besorgen, ich musste mir nur die Fragen einfallen lassen.
» Detective Chief Inspector Gunn ist eben zu uns gekommen, und ich möchte die Frage an ihn weitergeben.« Ich trat beiseite, damit die Kamera DCI Gunn zeigen konnte. Ich wiederholte Charlies Frage. Heute war kein Tag für professionellen Stolz.
DCI Gunn nickte, während ich sprach. » Sie haben absolut recht, Rachel«, sagte er, und ich fuhr wegen der fürs Fernsehen zu kumpelhaften Anrede innerlich zusammen. » Es muss eine Menge Leute geben, die in der Nacht zum Samstag Clubs und Bars in der Innenstadt verlassen haben und eine Frau, auf die Miss O’Connors Personenbeschreibung passt, gesehen haben könnten, und wir würden sehr gern von ihnen hören. Außerdem scheint sie an diesem Abend in Begleitung eines Mannes gewesen zu sein, den wir auffordern möchten, sich bei uns zu melden, damit wir ihn aus unseren Ermittlungen eliminieren können.« Ich hörte seinen roboterhaften Polizeiwendungen zu und fragte mich, wer zum Teufel ihm erzählt hatte, dass du mit einem Mann unterwegs warst. Woher wusste er das?
Ich stellte ihm noch ein paar Fragen aus meinem in Jahren als Kriminalreporterin angesammelten Fundus – wertete die Polizei Überwachungskameras aus? Ja. Wie schätzte er deinen Gemütszustand ein? Keine Veranlassung, dich für deprimiert zu halten – bis ich den Regisseur sagen hörte: » Eine letzte Frage, Rachel, dann machst du Schluss.«
Also fragte ich: » Wieso glauben Sie, sie könnte entführt worden sein?«
Ich sah, wie DCI Gunns Gesichtsausdruck sich veränderte, während seine Stimme ruhiger wurde. » Wir haben Grund zu der Annahme, dass Miss O’Connor um ihre Sicherheit besorgt war.«
In meinem Kopf kreischten Fragen.
» Schluss«, rief der Regisseur so laut, dass ich zusammenfuhr, » jetzt zurückgeben.«
Und das tat ich.
Wer hatte es auf dich abgesehen, Clara? Der schwarze Mann? Hattest du Angst vor Schatten und Gestalten, die aus der Nacht kamen? Opfer häuslicher Gewalt oder Zeuginnen in Mordprozessen haben vielleicht Grund, » um ihre Sicherheit besorgt zu sein«. Aber nicht du. Wovor hättest du dich fürchten sollen, Clara? Davon hast du mir nie erzählt.
Ich hatte gehofft, du hättest mir alles anvertraut. Ich wollte, dass wir genau wie früher alle Geheimnisse teilten. Aber in diesem Augenblick begann ich zu ahnen, dass ich mich vielleicht von Anfang an einer Illusion hingegeben hatte.
Nach meinem Beitrag blieb ich noch einen Augenblick sitzen und suchte umständlich meine Sachen zusammen, aber wonach ich auch griff – mein Notizbuch, mein Kosmetiktäschchen –, es glitt mir aus den Fingern. Mein Körper war außerstande, die einfachsten Aufgaben auszuführen.
Um mich herum packten Fernsehteams Kameras und Mikrofone ein, rollten Kabel auf. Fotografen mailten Aufnahmen von DCI Gunn und mir an ihre Redaktionen, Produzenten telefonierten schreiend mit Nachrichtenredaktionen: » Corrigan … nein, ich hab COR - RI - GAN gesagt, mit Doppel-R. Und Gunn wie die Waffe, nur mit zwei N.« Reporter saßen mit Laptops auf den Knien da und verschickten ihre Storys für die morgigen Zeitungen. Die Räder des Medienapparats drehten sich, als wäre es ein Tag wie jeder andere.
Mein Handy klingelte. Ich meldete mich, obwohl ich die angezeigte Nummer nicht kannte.
» Hallo?«
» Rachel, ich hab dich gerade gesehen. Wegen Clara. Was zum Teufel geht da vor?« Die kreischende Stimme klang hysterisch. » Ist ihr was passiert?«, fragte Sarah Pitts.
Ich wunderte mich nicht mal darüber, dass sie meine Nummer hatte. Ich ließ Jake und den Kameramann stehen und ging in eine ruhigere Ecke des Raums.
» Mehr weiß ich auch nicht«, sagte ich. » Die Polizei glaubt, dass sie in der Bar war.« Ich flüsterte ins Telefon und fühlte mich schuldig, als machte allein das Flüstern mich zu einer Komplizin.
» Sie war da, Rachel.« Sarah schniefte, dann schluckte sie Tränen hinunter. » Kurz nachdem du gegangen warst, und dann hat sie sich auf die Suche nach dir gemacht. Sie hat gesagt, du hättest sie angerufen, und ihr wolltet euch treffen, weil ihr euch wegen ihres Freundes gestritten hattet.«
Ich ließ sie ausreden und hörte mir an, wie sie schniefte und schluchzte. Ich sagte nichts, weil ich nicht reden konnte. Ich hielt das Telefon in einer Hand und
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