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zorneskalt: Thriller (German Edition)

zorneskalt: Thriller (German Edition)

Titel: zorneskalt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette McBeth
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bewegte die andere Hand vor meinen Augen, um sicherzugehen, dass ich noch real war, nachdem alles andere unwirklich geworden zu sein schien. Erst als ich das Dunkelbraun meines Nagellacks, die Adern auf dem Handrücken und den Mondsteinring am Mittelfinger sah, war ich endlich davon überzeugt, dies passiere mir wirklich.
    » Ich habe nicht mit ihr gesprochen. Ich konnte sie nicht finden. Zu Hause war sie nicht. Ich hab mir Pommes gekauft. Dann bin ich in ein Hotel gegangen.« Ich beschränkte mich auf kurze Sätze und atmete bei jedem tief ein. Ich würde nicht in Hysterie verfallen.
    » Aber sie hat vor unseren Augen telefoniert …«
    » Nicht mit mir.«
    » O Gott, vielleicht gehöre ich dann zu den letzten Leuten, die sie gesehen haben«, sagte Sarah und heulte wieder los. Ich stellte mir ihr Gesicht vor: aufgedunsen und gerötet.
    Ich sah auf. Jake stand vor mir.
    » Sie werfen uns jetzt hier raus, Rachel.« Ich nickte und bedeutete ihm, ich sei dabei, das Gespräch zu beenden.
    » Sarah, ich muss los.«
    » Ich hätte mich vergewissern müssen, dass sie in Sicherheit war.« Ihr Tonfall flehte um Verständnis.
    » Dich trifft keine Schuld«, sagte ich. » Ich rufe dich wieder an, okay?«
    Vor einer Stunde waren vor dem Polizeirevier noch Fahrzeuge und Buntheit und Kabelsalat gewesen. Jetzt gab es nur Weiß. Weiß unter einem grauen Himmel. Und es war still. Das kann Schnee bewirken, nicht wahr? Geräusche dämpfen, alles zum Schweigen bringen. Die Welt schien stillzustehen, eine Verschnaufpause zu machen.
    Als ich über den Parkplatz ging, wünschte ich mir, ich hinterließe keine Spur aus Fußabdrücken. Wünschte mir, wir müssten nicht immer alles ruinieren, was rein und perfekt begonnen hat.
    Ich weiß, was du an dieser Stelle denken wirst, Clara. Kein Wort zu DCI Gunn oder Jake? Weshalb ihnen verschweigen, dass ich dich kenne? Die Antwort ist nichts und alles. Ich konnte nicht logisch denken. Glaub mir, das kann man unter solchen Umständen nicht. Vielleicht habe ich geglaubt, alles dies würde real, sobald ich mich jemandem anvertraue. Und dafür war ich nicht bereit, auch wenn ich das später sehr bedauert habe. Stattdessen tat ich, was von mir erwartet wurde: Ich schrieb für die Abendnachrichten eine Version deiner Story, die nicht meine eigene war. Und als wir fertig waren, schickten wir sie über Satellit nach London. Dieser ganze Quatsch, den Leute in ihrem Lebenslauf schrieben, dass sie, die Profis, selbst unter Druck Ruhe bewahrten, ja, der traf an diesem Tag auf mich zu, obwohl ich wusste, dass das auch anders ausgelegt werden konnte.
    Der Bahnverkehr nach London war eingestellt, und so kam es, dass Jake an diesem Nachmittag bei mir im Auto saß – beide begierig, aus Brighton zu entkommen. Ehrlicherweise hätten wir uns eingestehen müssen, dass die Sache hoffnungslos war. Der Verkehr, der sich auf der Old Steine staute, hatte sich mit in der Kälte dampfenden Auspuffen endlos lange nicht mehr bewegt. In der langsam herabsinkenden Dämmerung waren auf den Gehwegen nur wenige Menschen unterwegs, die dick eingemummt und gegen den Wind nach vorn gebeugt nach Hause stapften. Ich starrte zum Pavillon hinüber und fand, seine exotischen Umrisse wirkten an diesem Tag so deplatziert und einsam, als hätte der Sturm ihn aus dem Orient hergetragen.
    Zuletzt war es die Frau von den Verkehrsnachrichten im Autoradio, die das Offensichtliche verkündete. Die A23 aus Brighton, sagte sie, sei wegen starken Schneefalls gesperrt.
    » Ich rufe Robbie an«, sagte Jake, und ich nickte.
    Erinnerst du dich an dieses Spiel, das wir gespielt haben, Clara? Das Allmacht-Spiel. » Wenn du alles tun könntest, Rachel«, hast du manchmal gesagt, » und ich meine, wirklich alles, was würdest du tun?«
    » Fliegen, das weißt du doch.« Das war jedes Mal meine Antwort. » Nachts glaube ich manchmal, dass ich’s kann. Ich fliege über die Dächer, wohin ich nur will.«
    » Möchtest du nicht unsichtbar sein oder in die Zukunft sehen können? Stell dir die Möglichkeiten vor«, hast du dann gesagt, um zu versuchen, meine Fantasie zu beflügeln.
    Aber ich wollte nie in die Zukunft sehen. Die Fähigkeit, mich zu erheben, meinem Zuhause, meiner Mutter und den fiesen Mädchen in der Schule zu entschweben – das war alles, was ich wollte.
    An jenem Tag wünschte ich mir, ich könnte fliegen: fort von der dräuenden grauen See, hoch über die verschneiten South Downs hinweg. Fort von dir. Fort von allem, was hier passierte.
    Jake

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