zorneskalt: Thriller (German Edition)
versuche es zu überhören. So gehe ich immer damit um, in diesen Klassenzimmern, die alle gleich aussehen und riechen. Ich bin jetzt vierzehn, und Niamh hat mir versprochen, dass dies unser letzter Umzug ist, aber das hat sie früher auch schon gesagt. Warum sollte ich ihr also glauben?
Mein Blick wird von dem einzigen Mädchen in der letzten Reihe angezogen, das nicht lacht. Sie scheint älter zu sein als die anderen, leicht irritiert von deren Verhalten, aber gelassen. Eine Kuppel aus Ruhe umgibt sie. Sie ist hübsch. Nein, nicht hübsch. Ich finde sie schön. Ich beobachte, wie sie nicht mehr das Pult ansieht, sondern verträumt aus dem Fenster blickt, als wisse sie, dass dies alles unwichtig ist, weil dort draußen bessere, wichtigere Dinge auf sie warten.
» Schluss jetzt mit den Scherzen, James«, sagt Mrs. Brackley und hebt dabei den Arm, als genüge allein diese Geste, um das Lachen zu unterbinden. Ihr Gesicht glänzt, ist in der Hitze des Klassenzimmers hochrot. Sie trägt eine rot, braun und gelb gestreifte Satinbluse und hat dunkle Flecke unter den Achseln. Durchs Fenster sehe ich die Septembersonne, schon tief am Himmel, die aufs Dach des Radschuppens scheint und Lichtblitze über den Schulhof schickt. Sie lässt mich die Augen zusammenkneifen.
» Rachel …« Als sie sich mir zuwendet, steigt mir der Geruch von Tee und Keksen in die Nase. Marke Rich Tea, vielleicht Hobnobs.
Niamh sagt, dass ich eine sehr gute Nase habe. Ich bin mir nicht so sicher. Ich glaube, dass jeder riechen könnte, wenn sie wieder getrunken hat.
» Such dir aus, wo du sitzen willst. Hier vorn sind zwei Plätze frei …«, sie deutet darauf, » … und hinten noch einer.« Bevor sie ausgesprochen hat, weiß ich, dass mir keine Wahl bleibt. Fast willenlos werde ich zu dem Mädchen in der letzten Bank hingezogen, von seinem Kraftfeld angezogen.
Mit meinem Rucksack über der Schulter gehe ich auf dich zu, bin mir bewusst, dass dreißig Augenpaare meine Schritte beobachten. Ein Kichern geht wie eine L a-O la - Welle durch die Klasse, als ich den Rucksack neben dich auf die Tischplatte stelle. Ich verstehe nicht, worüber sie sich derart amüsieren, ich bin zu sehr damit beschäftigt, dich zu betrachten. Dein dichtes braunes Haar ist locker im Nacken zusammengefasst, und ein paar Strähnen fallen dir ins Gesicht.
» Clara«, sagt Mrs. Brackley, und erst jetzt siehst du auf, » du sorgst bestimmt dafür, dass Rachel sich willkommen fühlt.«
Ich habe noch nie eine Clara gekannt. Ich hatte wie üblich eine Sarah oder Louise oder Helen erwartet. Aber dann erkenne ich, dass diese Namen für dich zu gewöhnlich wären. Clara passt zu dir.
» Also, Kinder, Bücher raus! Wir machen mit ›Viel Lärm um nichts‹ weiter. Die Stelle, an der wir letzte Woche aufgehört haben.«
Die Klasse ächzt, aber von dir kommt kein Laut. » Clara, du musst dir vorläufig dein Buch mit Rachel teilen.«
Endlich wendest du dich mir zu, und ich bin von deinen Augen fasziniert, wie ihr Blau mich durchbohrt. Ich unterdrücke den Drang, dich anzulächeln, weil du nicht lächelst. Du musterst mich, denke ich und möchte instinktiv die Prüfung bestehen, der du mich unterziehst. Deshalb erwidere ich deinen Blick, und so verharren wir ohne Blinzeln für scheinbar endlos lange Sekunden, weil keine von uns beiden nachgeben will. Und dann klappen unsere Augen wie synchronisiert genau gleichzeitig zu, und als ich meine wieder öffne, sehe ich, dass dein ganzes Gesicht von einem Lächeln belebt ist und das leuchtende Blau deiner Augen wie Wasser gekräuselt ist. Die seltsame Alchemie der Freundschaft ist mir ein Rätsel, aber ich weiß, dass hier ein Wimpernschlag etwas bewegt hat. Ein Stromstoß von Erregung, von ungeahnten Möglichkeiten durchzuckt mich, und plötzlich sind das Kichern und das Stigma, die Neue zu sein, wie weggeblasen.
Ich beobachte, wie du dein Exemplar von » Viel Lärm um nichts« aus der Tasche ziehst. Statt es auf den Tisch zu legen, lässt du es auf den Knien liegen und stößt mich leicht an. Nun sehe ich zwei leckere rosa Himbeerquadrate auf den Seiten liegen. Du nimmst eines und drückst das andere mir in die Hand. Wir wickeln sie lautlos aus und stecken sie in den Mund, als Mrs. Brackley uns den Rücken zukehrt, und sitzen im nächsten Augenblick kauend da, während uns eine Wolke aus süßem Himbeeraroma von Hubba Bubba umgibt. » Mein Lieblingsgeschmack«, flüsterst du mir zu.
Das habe ich irgendwie geahnt, denn es ist auch
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