zorneskalt: Thriller (German Edition)
und ich quartierten uns in einem Hotel ein, in einem dieser neueren Häuser, die behaupten, individuelle kleine Boutiquehotels zu sein, obwohl sie zu einer Kette gehören. Die Art Hotel, in der ich sonst mit Jonny, nicht mit einem Arbeitskollegen übernachtet hätte. Samtsessel und indirekte Beleuchtung. Aber ich war dankbar für den Komfort, für das Kaminfeuer, das die Hotellounge mit Holzduft erfüllte. Ich atmete mehrmals tief durch und schloss die Augen, um den Tag zu verdrängen.
Vom anderen Ende des Raums kam frivoles, ungezogenes Lachen. Ich öffnete die Augen und sah zwei Frauen. Eine war Mitte zwanzig, vermutlich nicht viel jünger als ich. Ihre Aufmachung erinnerte an eine Fußballerfrau. Gloss auf den Lippen, langes blondes Haar, geglättet. Die Frau neben ihr hatte die gleiche Gesichtsform mit leicht mandelförmigen Augen, aber ihre Züge waren im Alter schlaff geworden, und die Jahre hatten ihre Haut faltig gemacht. Mutter und Tochter. Ich fragte mich, wie es sein musste, jemanden zu betrachten und ein Bild von sich selbst in dreißig Jahren zu sehen. Nicht dass ich das jemals täte, Clara. Mein Bild von Niamh Walsh gehört für immer ins Jahr 1997.
Ich beobachtete, wie die jüngere Frau sich die Haare aus dem Gesicht strich. Dabei fing der riesige Solitär an ihrem Ringfinger den Kerzenschein ein und blinzelte mich an. Ich dachte an Jonny und die erträumte Zukunft, auf die ich seinetwegen hoffen durfte. Ich zog mein Handy heraus und rief ihn an. Meldete er sich, sagte ich mir, wäre das ein Zeichen, dass alles gut werden würde.
Ich landete sofort auf seiner Mailbox. » Ruf mich an, sobald du diese Nachricht bekommst«, sagte ich zu niemandem. » Ich liebe dich.«
» Bist du dir sicher, dass du einen runterbringst?« Jake kam von der Bar zurück und füllte zwei große Gläser mit einer dunkelroten Flüssigkeit aus einer Flasche.
» Wir haben alle mal einen schlechten Tag«, sagte ich und steckte mein Handy wieder ein.
» Aber doch nicht die große Rachel Walsh. Soll das heißen, dass du tatsächlich menschlich bist?«
» Halt’s Maul, Jake.«
Er beugte sich über den niedrigen Tisch und berührte meinen Arm. Eine warme Hand auf kalter Haut.
» Ich dachte nur, eine weitere E-Mail oder ein Brief hätte dir einen Schrecken eingejagt.«
» Ich habe seit über einer Woche keine mehr bekommen«, sagte ich. Daran wollte ich gar nicht denken, um an diesem Tag nicht noch ein Problem anzuschneiden.
» Immerhin ist es doch gut, dass du in deiner Heimatstadt gestrandet bist. Wenigstens kannst du hier alte Freunde besuchen.«
» Schön wär’s«, sagte ich, aber er hörte mich nicht, weil der Barkeeper kam, um unsere Bestellung aufzunehmen.
» Glauben Sie, dass Sie den Fernseher einschalten könnten – nur zu den Nachrichten?«, fragte Jake.
Der Barkeeper sah sich in der fast leeren Lounge um und nickte. » Ich muss ihn dann aber gleich wieder ausschalten«, sagte er ohne erkennbaren Grund.
Du warst in den Nachrichten, Clara. Wieder dieses Foto. Ich schloss kurz die Augen, um es nicht sehen zu müssen. Allerdings warst du nicht der Aufmacher, sondern kamst an zweiter Stelle. Ich bekam die Wörter » Großfahndung« und » junge Künstlerin« mit, dann hörte ich meine Stimme oder vielmehr ihre Fernsehversion.
» Jetzt geht’s los«, sagte Jake, als säßen wir auf einem Rummelplatz in der Achterbahn.
Ich wollte nicht hingucken. Ich wollte dieses Foto von dir nie mehr sehen müssen. Ich spielte mit der Kerze auf dem Tisch, tauchte die Spitze meines kleinen Fingers ins flüssige Wachs und zog es wieder ab. Auf den Bildschirm sah ich erst wieder, als ich mich sagen hörte: » Rachel Walsh, National News Network, Brighton.«
» Nicht gerade preisverdächtig, aber unter den gegebenen Umständen brauchbar«, sagte Jake und beugte sich nach vorn, um mit mir anzustoßen.
Wir aßen schweigend, und als ich mich danach zurücklehnte, fühlte ich, dass ich ruhiger wurde. Morgen früh würdest du wieder auftauchen. Solche Dinge passierten nur anderen Leuten. Nicht uns.
Das leise Piepsen meines Handys unterbrach meine Gedanken. Mir wurde wärmer. Die SMS kam von Jonny, das wusste ich. Alles würde okay sein. Die Nummer war unterdrückt, was zu erwarten war. Er war schließlich in Afghanistan.
Ich öffnete sie.
Und auf dem Display stand:
Wünschst du ihren Tod?
Ich las die Worte wieder und wieder. Ich spürte stechende Schmerzen hinter den Augen. Das BlackBerry war heiß, viel zu heiß, es verbrannte
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