zorneskalt: Thriller (German Edition)
meine Hand. Ich warf es auf den Tisch, was Jake erschreckte.
» Was’n los?«, fragte er.
Ich sagte nichts. Mein Gesicht sagte alles.
Er nahm das Handy vom Tisch.
» Scheiße, was soll das bedeuten?« An seinem Unterkiefer zuckte ein Muskel. » Ist das wieder er?«
» Ich weiß nicht …« Ich brachte den Satz nicht zu Ende. » Woher kann er meine Nummer haben?«, fragte ich, obwohl mir klar war, dass keiner von uns die Antwort wusste.
Wikipedia definiert Stalking folgendermaßen: Stalking ist das willentliche und wiederholte (beharrliche) Verfolgen oder Belästigen einer Person, deren physische oder psychische Unversehrtheit dadurch unmittelbar, mittelbar oder langfristig bedroht und geschädigt werden kann.
Bob hatte mich zweifellos zum Objekt seiner zwanghaften Belästigung gemacht, aber ich kann nicht sagen, dass ich mich jemals verfolgt gefühlt hätte. Und er hieß nicht Bob, wie du weißt, Clara, obwohl ich nicht glaube, dass ich dir je erklärt habe, weshalb ich ihm einen Namen gegeben habe, speziell diesen Namen. A) weil mit einem Namen auch ein Gesicht und eine Persönlichkeit verbunden waren – und weil jemand, den man kennt, weniger unheimlich ist. B) weil Bob ein kuscheliger Großvatername war: ein Wolljacken tragender Pfeifenraucher, den ich nicht zu fürchten brauchte. C) weil ich meines Wissens nie über Fälle berichtet hatte, in denen ein Bob als Mörder oder Vergewaltiger aufgetreten war, was ihn daran gehindert hätte, der Wolljacken tragende, großväterliche Bob meiner Fantasie zu sein.
Du hast mich gewarnt, vorsichtiger zu sein, ihn ernst zu nehmen. Aber ich habe mir vorgestellt, er lebe in einem Vorort, sehe tagsüber fern und kämme sich die Haare quer über den Schädel, um seine Glatze zu verdecken. Und wenn er nicht mehr » This Morning« und » Cash in the Attic« sehen mochte und merkte, dass er niemanden hatte, mit dem er reden konnte, vermutlich nie jemanden haben würde, schrieb er Briefe und E-Mails an Leute wie mich, die allabendlich in sein Wohnzimmer kamen. Er wollte glauben, sie seien seine Freunde. Einmal forderte er mich auf, eine Pfeife mit ihm zu rauchen, weil ich » wie ein Mädchen aussähe, das so was tut«. Und wenn ihm der Sinn nach mehr als nur einem Schwätzchen stand, forderte er mich auf, » in Leder die Nachrichten vorzulesen«. Ein bisschen dumm für einen Mann seines Alters. Jeden Tag ein Brief, auch E-Mails. Aber er war ja nicht aggressiv, er war harmlos, oder etwa nicht?
Trotzdem meldete ich seine Korrespondenz pro forma einer Personalerin namens Hayley, die mir mit ernster Miene zuhörte, dann einen Vortrag über adäquates Verhalten hielt und mir schließlich eine Broschüre mitgab, in der stand, ich solle nicht allein nach Hause gehen, wenn ich mich verfolgt fühlte. Aber Bob verfolgte mich ja nicht.
Ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Mit dieser SMS hatte er eine Grenze überschritten. Wenn ich jetzt an Bob dachte, stand mir kein Bild mehr von ihm vor den Augen. Er war in den Schatten verschwunden.
Müdigkeit überkam mich, machte meinen Kopf träge. Ich wollte, dass dieser Tag zu Ende ging. Also wünschte ich Jake eine gute Nacht und ging auf mein Zimmer. Drinnen glich es einem Kühlschrank, weil die Klimaanlage im Januar unerklärlicherweise auf Hochtouren arbeitete. Im Kleiderschrank fand ich eine zusätzliche Decke, dann kroch ich ins Bett und wickelte mich ein. Das Bettzeug war kalt und steif. Um mich herum war es dunkel, schwere Vorhänge sperrten die Straßenbeleuchtung aus. Ich schloss die Augen und wartete darauf, dass Schlaf meine Gedanken löschte. Stattdessen sah ich Farben und Bilder und Licht, das immer schneller blinkte. Ein Film, der ablief, ohne dass ich ihn hätte unterbrechen oder anhalten können. Wir waren die Stars der Show, Clara, du und ich. Er lief weiter und immer weiter – rückwärts allerdings, er nahm uns in eine Zeit mit, in der unsere Gesichter glücklicher waren und unser Lächeln unschuldiger. Dann stoppte er endlich. Ganz am Anfang. An dem Tag, an dem wir uns erstmals begegneten.
4 – September 1993
» Also, wer hat einen Platz neben sich frei?« Mrs. Brackley legt mir einen Arm um die Schultern. Das tun sie alle. Diesen Teil hasse ich am meisten: die Neue zu sein.
Einige der Mädchen heben langsam die Hand. » Sie könnte neben Gareth sitzen, Miss«, sagt eine, und ich höre einen Jungen einwerfen: » Das heißt, wenn seine Fürze sie nicht stören.« Die Klasse bricht in Gelächter aus. Ich
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