blieb aber für mich knapp außer Reichweite. Ich spürte einen kleinen Stich im Herzen, denn ich wusste, dass ich an der Seitenlinie würde ausharren müssen, während jemand anders über deinen Fall berichtete.
Ich zog meinen Ausweis durch den Kartenleser und prallte noch in der Tür mit Richard Goldman, einem weiteren Reporter, zusammen, der mir seinen Kaffee über meinen cremeweißen Wollmantel kippte.
» Verdammter Mist«, murmelte ich halblaut und versuchte, mich an ihm vorbeizudrängen, aber er vertrat mir den Weg.
» Scheiße, sorry«, sagte er mit seinem gedehnten Privatschulakzent, bevor er aufsah und mich erkannte. » Dich hätte ich niemals im Dienst erwartet.« Er musterte mich prüfend, suchte nach Anzeichen für einen emotionalen Zusammenbruch.
» Arbeit lenkt ab«, sagte ich.
» Nun, was immer dir nützt. Aber du sollst wissen, dass ich mit dir fühle.« Ich studierte sein Gesicht, um rauszukriegen, ob er das ernst meinte oder sich einfach nur darüber freute, wie alles um mich herum zusammenbrach. Ich hatte schon immer das Gefühl, er habe mir nie verziehen, dass ich ihm den Job des Kriminalreporters weggeschnappt hatte. Und ich dachte daran, was ein Kollege mir über ihn erzählt hatte, als ich bei NNN anfin g: Je besser man ihn kennt, desto weniger mag man ihn.
» Jedenfalls«, fuhr er fort, » beruhigt es dich vielleicht zu wissen, dass deine Story in guten Händen ist.« Dabei rieb er sich die eigenen. » Ich bin gerade dorthin unterwegs.« Mit diesen Worten trat er ins Freie und ging in Richtung Parkplatz davon.
Ich bin kein rachsüchtiger Mensch, aber manchmal braucht die natürliche Gerechtigkeit eine helfende Hand, und dies war einer dieser Fälle. Ich wollte nicht, dass Richards schmierige Pfoten Jonny und dich begrapschten, und ja, wenn ich schon nicht über die Story berichten durfte, wollte ich zumindest über die vertraulichen Mitteilungen der Polizei auf dem Laufenden gehalten werden. Richard würde lieber sterben, als mir solche Informationen zukommen zu lassen. Ich musste etwas unternehmen. Ich hatte nur keine rechte Idee, wie ich das anstellen sollte.
Dann wurde es Mittag, und mir fiel eine Gelegenheit in den Schoß, die so verlockend war, dass ich sie unmöglich ignorieren konnte.
Richard stand in Brighton auf der Strandpromenade und sprach live für die Ein-Uhr-Nachrichten. Er brauchte nur zu sagen: » Richard Goldman aus Brighton, wo die Polizei übers Wochenende Autofahrer und Clubbesucher in dem Viertel befragt hat, in dem Clara O’Connor vor über einer Woche verschwunden ist«, dann würde zur nächsten Nachricht geschaltet werden.
Das ist nichts, wobei man Mist bauen darf, denn man hat nur zehn Sekunden, die normalerweise nicht reichen, um einen Fehler zu korrigieren. Aber Richard versprach sich, sobald er den Mund aufmachte. Und dann – so schnell, dass ich’s fast übersah – war am unteren Bildrand zu erkennen, dass er sich mit der Hand an den Schritt fasste und kurz nach unten zog. Erstaunlicherweise gewann er sofort die Fassung zurück, so als wäre sein Pimmel direkt mit seinem Gehirn verbunden.
Ein Geschenk, ein echtes Geschenk. Ich sah zu Jake hinüber, aber der konzentrierte sich ganz auf die Übertragung. Ich ließ die Szene nochmals ablaufen, um mich zu vergewissern, dass ich es mir nicht nur eingebildet hatte. Aber nein, der Griff war deutlich zu sehen.
Instinktiv zog ich einen meiner alten Notizblocks heraus, auf dem das Passwort für einen E-Mail-Account unter falschem Namen stand, den ich mir vor einigen Monaten eingerichtet hatte. Bei einer Reportage über eine Firma, die Rentner zum Kauf wertloser Alarmanlagen nötigte, hatte ich mich als alte Dame ausgegeben. Der Account gehörte einer gewissen Jean Beattie. So hatte unsere alte Nachbarin in der Dover Road geheißen, die mir Sahnetörtchen zugesteckt und sich mit mir über meine Pflanzen unterhalten hatte.
Ich gab das Passwort ein und wählte die Funktion Schreiben.
Als Adresse setzte ich
[email protected] ein.
Dann legte ich los:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit 67 sehe ich vielleicht nicht mehr so gut wie früher. Aber ich bin mir sicher, dass ich soeben gesehen habe, wie Ihr Reporter Richard Goldman bei seinem Auftritt in den Ein-Uhr-Nachrichten mit seinem Penis gespielt hat. Ich hoffe, dass so etwas von NNN nicht toleriert wird. Ihre Nachrichten habe ich immer sehr gern gesehen, aber jetzt überlege ich, ob ich den Sender wechseln soll.
Hochachtungsvoll
Jean Beattie
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