zorneskalt: Thriller (German Edition)
Wohnzimmer, weil du auf den Totalen deine Fotos, deine Möbel, deinen Kaffeebecher auf dem Couchtisch erkennen würdest.
» Am Tag ihres Verschwindens«, erzählte Amber der Kamera, » war sie in ständiger Bewegung, geradezu hektisch. Ihre Stimmung war so unberechenbar. Nachträglich gesehen ist mir klar, dass das etwas war, das sich seit Wochen, vielleicht seit Monaten zusammengebraut hatte. Sie war nicht stabil. Sie hat mehrmals gesagt, ab Freitagabend würde sie sich in jeder Hinsicht besser fühlen, aber sie wollte nicht sagen, warum. Jetzt mache ich mir schreckliche Sorgen, dass sie etwas geplant hatte, wissen Sie, dass sie sich etwas angetan hat, das ich hätte verhindern können.«
Dazu hattest du mich getrieben, Clara. Ich musste dich als Frau am Rand des Zusammenbruchs porträtieren, als labiles, zu Depressionen neigendes Wesen. Ich musste dein heiligenhaftes Bild zerstören, denn du warst zu weit gegangen, du hattest einen Mann ermordet, das stand für mich fest. Und nicht nur irgendeinen Mann. Du hattest Jonny ermordet und machtest nun Jagd auf mich. Ich musste dafür sorgen, dass die Leute deine wahre Natur erkannten.
Sahst du die Sendung auch? Das hoffte ich, denn die Reportage enthielt zum Schluss eine Botschaft für dich.
Die beste Aufnahme ganz zuletzt.
Von dem Gemälde mit dem verkohlten West Pier schwenkte die Kamera langsam zu den gerahmten Fotos auf der Kommode hinunter. Dein Dad und du, eines von ihm allein. Und das eine, das ich dazugestellt hatte. Die Aufnahme von dir mit meiner Mutter, die du in mein Schlafzimmer gestellt hattest.
Du konntest mich mit deinen Botschaften quälen, aber auch ich konnte dir einige schicken.
Dieses Spiel konnten zwei spielen.
» Wer hätte das gedacht? Jane Fenchurch hat also doch Talent, oder vielleicht …« Jake stupste mich spielerisch mit dem Fuß an. » Oder du hast mehr Regie geführt, als du zugeben willst.«
» Sie hat alles allein gemacht«, sagte ich und stupste ihn meinerseits an. Wir lagen, satt von Wein und Tajine, auf seinem Sofa, hatten die leeren Teller auf dem Couchtisch abgestellt. In Jakes Gesellschaft war es leicht, sich zu entspannen. Er überhäufte mich nicht mit Mitgefühl. Er hinterfragte mein Verhalten nicht, verlangte auch nicht, dass ich Trauer demonstrierte, sondern redete und lachte und spottete und ließ mich einfach nur ich sein. Das machte eigenartig süchtig.
Jake schwenkte den Wein in seinem Glas und fuhr sich mit den Fingern durch die Locken. Mir drängte sich ein Gedanke auf, dann versuchte ich, ihn tief in meinem Verstand zu verstecken. Er ertappte mich dabei, dass ich ihn anstarrte, sah aber nicht weg, sondern erwiderte meinen Blick.
» Was ist nur mit dir los, Rachel?«, fragte er mit blitzenden braunen Augen. » Du bestehst aus lauter Widersprüchen. Ich werde nicht schlau aus dir. Du pflegst dein berufliches Image als taffe Journalistin, und dann gehst du hin und setzt alles aufs Spiel, indem du einer jungen Reporterin hilfst.«
Die Vorstellung, ein taffes Image zu haben, gefiel mir und irritierte mich gleichermaßen. Obwohl ich es nie bewusst kultiviert hatte, war mir klar, dass die meisten meiner Kollegen in der Redaktion das vermutlich glaubten. Und das lag nicht nur daran, dass ich eine gute Journalistin oder ehrgeizig war. Ich war ganz entschieden beides, aber das waren viele andere auch. Es lag wohl daran, dass ich eine Frau war. Als Frau kann man nicht ehrgeizig sein, ohne gleichzeitig auch kalt und herzlos zu sein.
» Willst du mir erzählen, dass alle, die du kennst, sanft oder hart, gut oder böse sind? Wo hast du denn bisher gelebt – in Disneyland?«, fragte ich lachend und schenkte mir Wein nach. Jake hob die Hände, als ergebe er sich.
» Du überraschst mich nur, das ist alles. Ich liebe Überraschungen.«
Als ich seinen Blick erwiderte, war ein Funke zu spüren, der zwischen uns übersprang, und dann sahen wir wieder weg.
Nicht jetzt, ganz falsch.
» Erzähl mir von Jonny«, sagte er. Also tat ich’s, offen und ehrlich.
» Ich habe ihn geliebt. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Der Gedanke, ihn nie wiederzusehen … ich weiß nicht, er könnte mich vernichten, wenn ich ihn zuließe. Aber das darf ich nicht«, sagte ich, » ich muss weitermachen.«
Er lächelte. » Hätte ich selbst nicht besser sagen können.«
Als ich Jake half, das Geschirr aufzuräumen, rief Sarah mich auf dem Handy an und störte den Abend mit ihrem unangemessen fröhlichen Tonfall. Ich konnte sie jedoch
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