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Zu einem Mord gehoeren zwei

Titel: Zu einem Mord gehoeren zwei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Plötzlich war ihm weinerlich zumute. Er fror. Er war unendlich traurig, verzagt und gebeugt. Das Bild einer Sanduhr stand vor ihm und das Bild eines Brunnens, aus dem sich Freude und Lust schöpfen ließen. Und während die Sanduhr unaufhaltsam lief, saß er hier unten als Gefangener und konnte nicht hin zum Brunnen. Zeit, die vertan war, Stunden, die unwiederbringlich versickerten. Er sah sich im Sarg liegen, lebendig begraben, für seine Umwelt längst ein Toter. Mein Gott, was waren das für unfähige Idioten da oben! Sie hätten ihn doch schon längst hier rausholen müssen… Ob sie ihn schon abgeschrieben hatten?
    Ein großes Unbehagen füllte ihn aus, aber Angst im eigentlichen Sinne, Todesangst, verspürte er nicht. Jung, sinnenfroh und lebensbejahend, wie er war, konnte er sich unter dem Tod nichts vorstellen. Unter dem eigenen Tod schon gar nicht. Sterben, das taten andere Leute; man las es dann in der Zeitung, aber es betraf einen nicht… Es bedrückte ihn ein wenig, daß er keine Angst hatte; er fand, es gehörte zu der Rolle, die er im Augenblick spielen mußte. Er war den Millionen bangender Menschen gegenüber geradezu verpflichtet, Angst zu haben, sie hatten ein Recht darauf. Ihr Mitleid und ihre Bemühungen verlangten eine Gegenleistung. Und wie sollte er nach seiner Befreiung den Reportern eine gute Story in die Feder diktieren können, wenn er nicht einmal Angst empfunden hatte?
    Plötzlich erlosch die nackte Glühbirne an der Decke.
    Feuerhahn sprang auf, stolperte zur Tür, fand sie und rüttelte am Gitter. «Tommy! Mein Gott, mach das Licht an!»
    Sein Herz schlug schmerzhaft hart und unregelmäßig, der Schweiß brach ihm aus allen Poren, sein Gesicht war wild verzerrt – er schrie, kreischte, brüllte. Ich bin lebendig begraben, hämmerte es in seinem kurzgeschlossenen Gehirn. Draußen ist was passiert – eine Katastrophe. Das Haus brennt… Ich bin verschüttet! «Helft mir doch! POLIZEI! Tommy!»
    Da war die Angst, und sie war echt.
    Er stemmte sich mit aller Kraft gegen das stabile Gitter, bis seine Muskeln zitterten. Er keuchte. Dann rutschten seine Füße weg, und da in seinen Fingern keine Kraft mehr war, den Körper abzufangen, schlug er zu Boden. Benommen blieb er liegen. Er spürte, wie Blut aus seiner linken Augenbraue quoll.
    Schluchzend begann er zu beten. «Ich will ein anderer Mensch werden, wenn ich hier rauskomme… Ich will ein guter Mensch werden… Ich will ja alles tun – Kranke pflegen, alte Menschen betreuen, Claudia heiraten und gut zu den Kindern sein, einen Teil meines Gehalts für hungernde Menschen spenden, alles! Aber hilf mir!»
    Wirre Phantasien quälten ihn. Er roch es schon: Tomaschewski hatte sich einen Behälter mit Giftgas beschafft und leitete es durch einen roten Schlauch in den Keller… Nein, er setzte den Keller unter Wasser. Gleich vor der Tür stieg ja das Hauptrohr nach oben. Er brauchte nur einen Stutzen zu lockern. Es würde Stunden dauern, bis das Wasser die letzte Luftblase verdrängt hatte. Was hab ich denn getan, daß ich hier… Ich hab doch nie jemand was getan… Herrgott, warum muß ich denn… Nun konnte er sich den eigenen Tod vorstellen.
    Nichts geschah. Alles blieb still. Er vernahm nur das Klopfen seines Herzens und seinen etwas röchelnden Atem. Es roch nach Sperma, Staub und Kot. Er zog sich hoch, tastete sich zur Couch und ließ sich wieder fallen. Wenn er doch nur Streichhölzer hätte! Er hatte vergessen, Tomaschewski um Streichhölzer zu bitten. Und um Zigaretten… Ob Tomaschewski ihn zermürben wollte? Dieses Schwein! Dieses verdammte Schwein!
    Unfaßbar: Da gingen Tausende von Menschen durch die Straßen, und für jeden von ihnen war es ein Tag wie jeder andere. Ihr Leben lief so ab wie immer, harmonisch und wie vorher geplant. Pünktlich verließen die U-Bahnzüge ihre Endstationen – Tegel, Gesundbrunnen, Krumme Lanke, Zwickauer Damm, Alt-Mariendorf, Gleisdreieck, Ruhleben, Richard-Wagner-Platz, Walter-Schreiber-Platz, Leopoldplatz. In Tempelhof hoben die Maschinen ab und dröhnten westwärts. Die Busse hielten vor den roten Ampeln, und die Schaffner waren witzig: Immer rein in die gute Stube! Oben in der Räucherkammer sind noch zwei Plätze frei. Noch einer, der sich nicht vorgestellt hat? Fahren Sie zufällig zum Zoo, Herr Schaffner? Nee – absichtlich!
    Warum stand die Welt nicht still, wenn er sterben mußte? Sie existierte doch nur, weil er sie dachte.
    Müde und schlaff preßte er den heißen Kopf auf den

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