Zu Hause in Almanya
und im Haushalt, putzte und reinigte, sorgte sich um die Kleidung der feinen Herrschaften und um ihre alltäglichen Bedürfnisse. Mehmet erledigte alles zur besten Zufriedenheit seiner Herrschaften, was ihm noch große Anerkennung einbringen sollte, und er lebte sich mit der Zeit in seiner neuen Heimat ein. Er freundete sich mit den anderen Bediensteten an, lernte Hannover und die Menschen kennen und war bald weit über das Schloss hinaus bekannt. Der Türke Ludwig Maximilian galt als fleißig, und dank seiner Zuverlässigkeit gewann er mit den Jahren das Vertrauen des Kurfürsten und besonders seines ältesten Sohnes Georg Ludwig, der ungefähr im gleichen Alter war.
Aber es gab noch jemanden, in dessen Herzen Mehmet bald einen besonderen Platz bekam: die kleine Marie Hedwig. Sie war 15 Jahre alt, als sie sich kennen lernten und sich ineinander verliebten. Marie Hedwig war die Tochter einer angesehenen bürgerlichen Familie, und obwohl so mancher die Nase darüber gerümpft haben wird, dass sie einen Türken heiraten wollte, wurde sie seine Frau.
Georg Ludwig, der nach dem Tod seines Vaters Kurfürst geworden war, beförderte Mehmet schließlich zum ersten Kammerdiener. Doch das Leben sollte noch ein weiteres Abenteuer für ihn bereithalten. Als 1714 die englische Königin Anne kinderlos starb, wurde Georg Ludwig zu ihrem Nachfolger bestimmt. Er war ein Urenkel König Jakobs I. und somit ein entfernter Cousin der letzten Stuart-Königin. Der Kurfürst reiste nach Großbritannien und wurde dort als Georg I. zum König gekrönt – und Mehmet ging mit ihm. Vielleicht hat König Georg in England zum ersten Mal in seinem Leben verstanden, wie sich Mehmet in seinem Innersten fühlte, als er nach Hannover kam. Seinen britischen Untertanen war der neue König zu »deutsch«, er selbst fühlte sich in England fremd und flüchtete zwischenzeitlich immer wieder mit seinem Kammerdiener ins heimatliche Hannover.
Mehmet, der mittlerweile ein erwachsener Mann geworden war, immer weniger Haare auf dem Kopf hatte, aber dafür einen runden Bauch bekam, hatte es zu großem Ansehen in den königlichen Kreisen gebracht. Georg erhob ihn in den Adelsstand und verlieh ihm den Namen »von Königstreu«. Mehmet wurde ein wohlhabender und angesehener Mann und lebte noch mehrere Jahre in London als Vertrauter im Dienst seines englischen Königs. Noch heute hängt im Kensington Palace in London ein großes Gemälde, das ihn und seine Frau Marie Hedwig Wedekind zeigt.
Als Mehmet im Jahr 1726 starb, mag König Georg sicher traurig gewesen sein über den Verlust seines treuen Gefährten, des kleinen türkischen Jungen, der einst zu ihm nach Hannover gebracht worden war. Nur ein halbes Jahr später starb auch er, und beide wurden in Hannover begraben. Dort steht noch heute der Grabstein des Adelsherrn Ludwig Maximilian Mehmet von Königstreu, von dem manche sagten, er sei zwar getauft, aber in seinem Herzen immer ein Türke und ein Muselmann geblieben.
So ähnlich wie Mehmet war es vielen türkischen Jungen und Mädchen ergangen, die während der Türkenkriege gefangen genommen und verschleppt worden waren. Hunderte von ihnen sind heute namentlich bekannt, weil man sie in den Taufbüchern der Kirchen entdeckte. Sie hießen Fatima, Osman, Ali oder Hasan und wurden in Carl, Maria, Josef oder Jacob umbenannt, nachdem sie in öffentlichen Taufzeremonien ihrem muslimischen Glauben abschwören und ihre türkische Herkunft ablegen mussten, wenn sie es nicht schon freiwillig getan hatten.
Dann wurden sie von der deutschen Bevölkerung auch bereitwillig aufgenommen und lebten friedlich mit dieser zusammen. Sie wurden sesshaft, heirateten deutsche Männer und Frauen und gründeten Familien. Doch nur wenige hatten soviel Glück wie Mehmet und stiegen in den Adel auf oder machten Karrieren an Königs- und Fürstenhöfen. Die meisten wurden Handwerker oder Kaufleute, Winzer oder sogar Pfarrer oder übten andere Berufe aus, weit weg von ihrer Heimat, die sie wahrscheinlich niemals wiedersahen.
Da die meisten getauften Türken auch ihren türkischen Namen ablegen und einen deutschen Namen annehmen mussten, geriet ihre eigentliche Herkunft mit der Zeit in Vergessenheit. So gibt es heute viele deutsche Familien, deren Vorfahr Türke oder Türkin war und die das nicht wissen. Heutige Familiennamen wie Türck, Aly, Ossmann oder Soltan können ein Hinweis darauf sein. Auch der große Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der Schriftsteller Frank Wedekind oder
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