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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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untergebracht, und die kleinen Geräusche über mir könnten bei etwas gutem Willen als einigermaßen ungewöhnliche Grüße meiner Mitmenschen gedeutet werden.
    Wenn ich nachts an meiner Tür plötzlich ein leichtes Scharren vernahm und Achmeds leise Warnung: »Madame, Madame!«, hielt ich den Atem an und rührte mich nicht. Kurz darauf hörte ich im Korridor Männerstimmen, Klopfen an Zimmertüren, das nervöse glucksende Lachen unsererHotelbesitzerin. Sowie sich diese Geräusche entfernten, lockerte sich meine Spannung, und selbst als Achmed mit neuerlichem Scharren bekanntgab, daß die Gefahr diesmal vorbei war, knipste ich in solchen Nächten kein Licht mehr an.
    Am Tage war alles viel leichter, da genoß ich meinen überraschenden Afrikaaufenthalt. In der Nähe des Hotels hatte ich eine Leihbibliothek entdeckt, in der ein älteres Fräulein waltete, das die Bücher und mich durch ein Lorgnon betrachtete. Je öfter ich kam, desto freundlicher wurde ich empfangen. Mademoiselle beriet mich und schenkte mir manchmal ein Rippchen echter Schokolade von ihrem offenbar unerschöpflichen Kriegsvorrat.
    Ehe ich in der Märchenwelt des Araber- und Judenviertels, der Medina und Mellah, untertauchte, machte ich oft in einem kleinen Café halt. Dort hatte ein alter tschechischer General seinen Stammtisch, der einst mit seinen französischen Kollegen Expeditionen gegen Berber und andere aufständische Stämme unternommen hatte. Er trug im Knopfloch eine erstaunlich große Rosette der Ehrenlegion, wie ich sie an niemandem sonst gesehen habe, in Marokko hatte er sich für immer niedergelassen und litt an lähmender Langeweile. Wie er erfahren hat, daß ich aus Prag war, weiß ich nicht. Allein man bedenke: ein Prager Mädchen und in Casablanca! Das gab schon eine Abwechslung. Wann immer ich an dem Café vorbeikam, rief mich der Herr General herbei und lud mich zu einer Tasse schwarzen Kaffees ein. Schwarz, sogar sehr schwarz war das Getränk, das man dort servierte, von Kaffee war freilich nicht viel zu merken. Und wann immer ich mich an seinem Tischchen niederließ, erzählte mir der General dieselbe Anekdote.
    »Wissen Sie, meine Liebe, was das Schlimmste an den Feldzügen auf diesem Kontinent war? Nein? Nun, das waren die Tse-Tse-Fliegen und die Damen vom Roten Kreuz. Ha, ha, ha!«
    Ich lachte, wie erwartet, und danach besprachen wir dieneueste Kriegslage, und ich wurde darüber unterrichtet, was alles bislang von den Alliierten unternommen wurde und wie es nach Ansicht meines militärischen Landsmannes besser zu machen wäre. Unterdessen kam Ali vorbei, ein dünnes Bürschchen, das das Tagesblatt Le Petit Marocain verkaufte. Der Herr General erstand zwei Exemplare, eines davon für mich. Ich bedankte mich für den Kaffee, den guten Witz, die nützliche Belehrung und die Zeitung, wurde aufgefordert, mich recht bald wieder zu zeigen, und war entlassen.
    Ich kam auch bald wieder, denn einerseits führte mein Weg an diesem Café vorbei, andererseits war das tschechische Morgengespräch, so eintönig und nichtssagend es auch war, dennoch wie ein Hauch aus der Heimat im bizarren afrikanischen Milieu.
    In Casablanca gab es damals ein Quartier fermé, so hieß das Prostituiertenviertel, und ich brannte darauf, einmal dorthin gehen zu können, wußte allerdings, daß ich das nicht allein unternehmen konnte.
    »Eine verrückte Idee«, meinte eine Gruppe von Pragern, die inzwischen auf den verschiedensten Um- und Fluchtwegen hier angekommen war, »dort sollte man nicht einmal vorbeigehen.«
    »Ich bin aber Journalistin«, bemerkte ich selbstbewußt, obwohl ich diese Laufbahn kaum angetreten hatte und inzwischen längst wieder aufgeben mußte, »mich interessiert so etwas.«
    »Also, wenn Sie durchaus darauf bestehen«, meldete sich unerwartet ein Advokat mittleren Alters, »dann bin ich bereit, mit Ihnen einmal auf einen Sprung hinzugehen, habe selbst so etwas noch nie gesehen.«
    Mit Begeisterung nahm ich dieses Angebot an, das wohl auch mit der uneingestandenen Neugier des Juristen motiviert war.
    »Die Sache ist nicht ungefährlich«, meinte ein anderer Herr aus der tschechischen Tischrunde. »Wer garantiert Ihnen, daß Sie dort auch wieder heil herauskommen?«
    Ungeachtet dieser Warnung machten wir uns eines Abends auf den Weg ans andere Ende der Stadt. Eine Frau durfte das Quartier fermé nur in Begleitung eines Mannes besuchen. Wir liefen natürlich zu Fuß hin, die als Taxis fungierenden Pferdedroschken kamen für die

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