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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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nicht, und die Aussicht, vorerst vier Wochen auf dem französischen Schiff unterwegs zu sein, schien mir gar nicht so schlecht. Gewiß, die Schlafstelle im Massenquartier für Frauen tief unten im Schiffsbauch war miserabel, das Essen knapp und gleichfalls miserabel, dennoch: All das gab es hier, man mußte dem nicht nachjagen. Vier ganze Wochen lang!
    Nach kaum zehn Tagen war alles aus. Das Schiff ging in Casablanca unvorhergesehen vor Anker, niemand an Bord wußte warum, niemand für wie lang. Auf höfliche, verzweifelte oder gar empörte Fragen gab es nur eine Antwort: »Attendez! – Warten Sie ab!« Beinahe zwei Wochen nach der quälenden Zwischenlandung, die eigentlich keine war, weil niemand an Land gehen durfte, kletterten eines Tages die Mitglieder einer »Kommission« auf das Schiff, manche in französischer Uniform, andere in diskretem Zivil. Alle Passagiere wurden zusammengerufen, einer Prüfung unterzogen und aussortiert. Ich wurde in einen Transport eingereiht und mit vielen anderen in einen Zug verladen. Alles ohne ein Wort der Information. Der Zug fuhr los, durcheilte Afrika und machte erst halt, als das Geleise endete. Weiter gab es nur mehr Sand. Wir waren am Rande der Sahara angekommen. Vor uns flimmerte ein Barackenlager in der Sonnenglut; es hieß Oued-Zem.
    Wieder einmal wies man mir einen Platz in einer Baracke an, nur war sie diesmal nicht aus Holz wie in Rieucros, sondern aus Wellblech. Ein Brutofen am Wüstenrand. Von hier mußt du so bald wie möglich weg, beschloß ich in meiner ersten von Schakalgeheul und dem Summen unbekannter Insekten erfüllten schlaflosen Afrikanacht. Dieser Beschluß verstärkte sich noch, als in den nächsten Tagen unter den geschwächten und entnervten Internierten eine beträchtlicheSterblichkeit um sich griff. Von hier mußte ich schnell fort, das war mir klar, aber wie? Tagelang suchte ich einen Weg, bis ich schließlich einen Einfall hatte. Ich ließ mich beim Lagerkommandanten, einem französischen Offizier, melden. Unter dem Vorwand, als Tschechoslowakin unter dem Schutz der – noch gar nicht konstituierten – tschechoslowakischen Exilregierung in London zu stehen, gelang es mir, von ihm einen Urlaubsschein für einen Aufenthalt von 48 Stunden in Casablanca zu erhalten. Wahrscheinlich ließ den Herrn Kommandanten völlig gleichgültig, ob er ein junges Ding aus einem der obskuren Länder irgendwo in Europa unter den zu vielen Flüchtlingen in seinem Lager hatte oder nicht – er gab mir das notwendige Papier.
    »Achtundvierzig Stunden, Mademoiselle«, sagte er dennoch ein wenig bedrohlich, als er mir den Schein aushändigte, »verstanden? Mehr nicht.«
    Mehr brauchte ich nicht.
    Das sind die kleinen Schwindel in bestimmten Lagen, Virginia, die notwendig sein können zum Überleben. Nur dürfen sie niemals ein anderes Leben bedrohen.
    Auf so tollen Umwegen geriet ich im Zuge des Kriegsgeschehens aus Prag-Karolinenthal nach Casablanca. Gleich in den ersten Stunden begegnete ich durch einen glücklichen Zufall auf der Straße einem Mitbewohner aus unserem Pariser Maison, dem katholischen Journalisten Šturm, einem jungen Mann, der solide war und in keinerlei Weise die Aufmerksamkeit auf sich zog. Dennoch ist auch er an jenem Morgen wie wir alle vom Frühstückstisch weg verhaftet und in das Männergefängnis La Santé eingeliefert worden. Nun begrüßten wir einander stürmisch.
    »Wo wohnst du?« lautete seine erste Frage.
    »Nirgends«, lautete meine erschöpfende Antwort.
    Als er erfuhr, daß ich am Morgen aus dem Wüstenlager Oued-Zem angekommen war, in das ich nicht mehr zurückzukehren gedachte, meinte er:
    »Ich wohne mit einigen Tschechen in einem leeren Bata-Haus. Komm mit, wir werden schon einen Platz für dich finden. Die Polizei hat uns dort zum Glück noch nie belästigt.«
    Das klang aussichtsreich. Der tschechische Schuhkönig Bata hatte auf nahezu allen Kontinenten seine Zweigstellen. In der marokkanischen Hauptstadt war es, wenn ich mich richtig erinnere, ein zweistöckiges Haus, unten mit einem nun leerstehenden Laden, in den oberen Geschossen mit ein paar Wohnungen. Šturm brachte mich in »seine«, die er mit zwei jungen evangelischen Pastoren und einigen Fliegern teilte, die auf dem Weg zu ihrer tschechoslowakischen Militäreinheit in England vorübergehend hier gestrandet waren. Die Wohnung stand völlig leer, nur die Fußböden waren mit Matratzen bedeckt. Ich wurde sehr freundschaftlich aufgenommen, und nach einer kurzen Beratung

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