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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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finanziell bescheiden ausgestatteten Emigranten überhaupt nicht in Frage. Als wir unser Ziel erreichten, wurden wir an einer Art Schlagbaum angehalten. Mein Begleiter bekam einen Schein mit einer Nummer. Das war meine Nummer, und ohne mich, so wurde er belehrt, würde man ihn nicht wieder hinauslassen. Mich amüsierte diese Formalität, der Herr Rechtsanwalt aus Prag meinte, die ganze Angelegenheit sei doch ein bißchen unheimlich. Dennoch machte er weiterhin brav mit. Der Schlagbaum ging hoch, und wir durften das verbotene Viertel betreten.
    Meine Phantasie hatte mir etwas von der Zauberwelt orientalischer Harems vorgegaukelt. Allein, was wir hier zu sehen bekamen, hatte nichts mit den Freudenvierteln gemein, über die man in Büchern lesen kann. Von Freude war in dem schmutzigen, leicht verwahrlost und eher elend wirkenden Gelände, in dem wir uns nun umsahen, nichts zu merken. Überall standen Frauen auf der Straße, manche waren auffallend schön, unter ihnen gab es auch ganz junge, kleine Mädchen. Und daneben ältere, unschöne und, wie uns plötzlich ein Mann zuflüsterte, sehr billige Prostituierte. Meine romantische Vorstellung vom Quartier fermé – Teppiche, sentimentale Musik, betörende Düfte und Schönheiten wie aus Tausendundeiner Nacht – zerstob in nichts. Was sich in den Häuschen zu beiden Seiten der zerstampften Straße abspielte, sahen wir natürlich nicht. Aber einladend, geschweige denn märchenhaft wirkten auch sie nicht, und was wir draußen zu sehen bekamen und nicht zuletzt auch riechen konnten, ließ uns sehr bald unseren Rückzug antreten. Als mein Begleiter am Ausgang meine Nummer zurückgab, ich in Augenschein genommen wurde und der Schlagbaum dann hochging, konnten wir in die »offene« Stadt zurückkehren.
    Mit einemmal schien mir das Getümmel, der Lärm und die sonst ein wenig beängstigende Ruhelosigkeit in den Straßen geradezu wohltuend und beinahe anheimelnd zu sein. Ich bedankte mich bei meinem Begleiter, er bemerkte höflich, eine interessante Erfahrung gemacht zu haben, und ich begab mich auf den Heimweg in mein Lichtschachtquartier. Obwohl ich diesmal, wie schon gesagt, nur drei Wände als mein Zuhause bezeichnen konnte, fühlte ich mich dort dennoch schon, bescheiden, aber immerhin, ein bißchen geborgen. Das verdankte ich vor allem der gutherzigen Hausfrau und dem geräuschlos hilfsbereiten Achmed.
    Am Wochenende, und nur am Wochenende, wurden in der Stadt Backwaren verkauft. Sie waren nicht sonderlich verlockend, auch nicht sonderlich schmackhaft, sahen ein wenig schwärzlich aus, aber sie waren süß und mundeten mir großartig. Ich erstand sie immer in demselben Laden, wußte gar nicht, ob es überhaupt einen anderen gab, und plauderte dabei mit der Besitzerin, einer kugelrunden Madame Zizou. Weil ich an den Wochenenden nichts anderes als diese sogenannten Kuchen verzehrte, kaufte ich stets eine Tüte voll, und Madame Zizou steckte mir oft unter herzlichem Gekicher ein Stück mehr dazu, »pour l’amitié, ma petite«. Diese l’amitié, ihre Freundschaft für mich, hat sie später nachdrücklich unter Beweis gestellt, als ich an einer schweren Gelbsucht erkrankte, noch dünner wurde und fast nichts essen konnte. Da holte Madame Zizou eines Tages aus irgendeiner unsichtbaren Vorratskammer ein großes Glas mit guter, mit echtem Zucker eingekochter Aprikosenkonfitüre hervor.
    »Kauf dir Brot«, empfahl sie mir, »das weiße in unserer Medinah, und bestreich es ordentlich mit meiner Konfitüre. Das bringt dich auf die Beine. Steck dein Geld wieder ein, hast ja kaum welches, und dieses Glas schenke ich dir pour l’amitié.«
    Daß ich fast ohne ärztliche Hilfe wieder gesund geworden bin, verdanke ich nicht zuletzt der Freundschaft dieser Afrikanerin.
    Habe ich nur Gutes erlebt in Casablanca? Keineswegs. Ich lebte dort in ständiger Unsicherheit und wundere mich im nachhinein, wie ich mit dem klein bißchen Geld, das ich bei Herrn Svoboda verdiente, überhaupt auskommen konnte. Ich mußte mich wiederholt der Polizei stellen, wurde für einige Tage abermals in ein Lager abgeschoben, freilich nur nach Sidi-el-Ayachi, das am Meer lag, wurde schwerkrank und wußte nicht, wann und ob ich überhaupt von diesem ungewollten Zwischenaufenthalt wieder loskommen würde. Aber ich war in Afrika, in der weißen Stadt Casablanca, und das war abermals, vor mehr als einem halben Jahrhundert, ein seltenes Abenteuer und ein phantastisches Erlebnis. Die Farben, Gerüche, Geräusche, die

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