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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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nach der Kriegskatastrophe verständlicher machen können. Manchmal war es sehr schwer, sich mit dem Geschehenen zurechtzufinden, aber so wie sich durch ein verdunkeltes Fenster an jedem Morgen das Tageslicht durchzwängt, so gab es selbst bei den schlimmsten Vorkommnissen auch Lichtblicke. – Du drehst den Kopf weg, glaubst nicht an Lichtblicke. Vielleicht hast du recht, Virginia, vielleicht habe ich recht. Wer kann das entscheiden?Im Herbst 1946 waren wir endlich Besitzer einer Bescheinigung, daß uns in der Uzun Mirkova Nr. 5 eine Wohnung zugeteilt wurde. Diese Adresse kann ich nicht vergessen, denn ich habe sie meinem Kind ungezählte Male vorgesagt und später auch wiederholen lassen. »Wo wohnst du?«, und sie plapperte mit einem stolzen Lächeln, weil sie es wußte: »Uzun Mikowa pet.« Denn meine in Belgrad geborene kleine Anna mußte zuerst serbisch sprechen können.
    Als wir die Uzun-Mirkova-Wohnung besichtigen kamen, stellte sich heraus, daß es sich nur um zwei Zimmer in einer Vierzimmerwohnung handelte. Einen der beiden übrigen Räume bewohnte ein junger Universitätsprofessor der Mathematik, den anderen ein Partisanenehepaar. Uns hatte man zwei Zimmer zugesprochen, weil wir ein Kind hatten. Auch die Küche stand uns zur Verfügung. Das Badezimmer mit einem Heizofen für warmes Wasser, der aber nicht funktionierte, war für alle Bewohner gemeinsam.
    Immerhin – zwei Zimmer und ein benützbares Bad! Wenn sich am Morgen mein Mann, der ehemalige Partisan und Professor Nenad gemeinsam im Badezimmer rasierten und dabei, um sich in dem kalten Raum ein wenig zu erwärmen, laut sangen, fürchtete ich, das nach einem Bombeneinschlag ziemlich beschädigte Haus würde im nächsten Augenblick einstürzen. Aber es war ein solides Haus und bot auch dieser leichtsinnigen Bedrohung die Stirn.
    Einst war das stattliche vierstöckige Gebäude mit einem Aufzug ausgestattet worden. Der war auch noch da, baumelte aber wie ein verletztes Ungeheuer mit gähnend offener, völlig unbrauchbarer Kabine schief in seinem Schacht. Um den Kinderwagen nicht immer in die zweite Etage hinaufschleppen zu müssen, machte ich ihn im Erdgeschoß am Aufzugsgitter wie ein Fahrrad mit einer Kette fest.
    »Praktisch, nicht?« heischte ich um Anerkennung für meine Vorkehrung. Mein Mann war skeptisch.
    »Das wird sich erst herausstellen«, meinte er trocken.
    Einige Wochen lang ging alles sehr gut. Bis ich eines Tagesmit dem Kind auf dem Arm hinunterkam und mit einer nicht ungeahnten, dennoch bestürzenden Erfahrung konfrontiert wurde. Die Kette mit dem kleinen Schloß war noch da, der Wagen fehlte. Ich hatte ihn vorsorglich aus Kanada mitgebracht, jetzt mußte ich mir einen der unförmigen, größtenteils aus Holz hergestellten und somit schweren und polternden hiesigen Kinderwagen besorgen und froh sein, daß ich überhaupt einen ergatterte. Das Wohnen in der Uzun Mirkova Nr. 5 stellte sich als nicht gerade eintönig heraus.
    Mit der kleinen Arche Noah, wie wir unser neues Transportmittel benannten, fuhr ich mein Töchterchen gern im nahen und schönen Kalimegdan-Park spazieren, und diese Nähe söhnte mich mit meiner neuesten Wohnung so ziemlich aus. Bis dann eines Tages ...
    Eines Tages ließ mich ein undefinierbarer Lärm aus meinem Stuhl am Schreibtisch hochfahren. Im Treppenhaus quiekte, kreischte, fluchte, krachte, schnaufte und rumpelte etwas. Etwas oder jemand. Ich war allein mit Anna zu Hause, holte erst einmal tief Atem, beruhigte das aus dem Schlaf gerissene Kind und ging schließlich entschlossen nachsehen, was sich vor unserer Tür so geräuschvoll abspielte.
    Zuerst erblickte ich zwei Männer, die ein sich wild sträubendes, laut protestierendes und strampelndes riesengroßes Schwein an zwei Stricken über die Treppe hochzerrten. Dann sah ich zwei weitere, die das böse fauchende Tier an seinem Hinterteil hochstemmten. Ihr Ziel war offensichtlich die Wohnung über uns im dritten Stockwerk.
    Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Ein Mastschwein, das drei Treppen hoch steigen mußte! Was wird es dort oben anfangen? Das stellte sich freilich ziemlich bald heraus. Über unseren Köpfen trampelte und polterte es, unser Nachbar, das Schwein, raste grunzend aus einer Ecke in die andere, quiekte erbost, wurde ermahnt, angeschrien, verflucht. All das bei Tag und auch in der Nacht.
    Nach einigen unglaublich turbulenten Tagen war es obenmit einem Male ganz still. Ich wurde nervös. Hatte man das Tier wieder weggebracht?
    Auf dem

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