Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
Xaver Dušek mit seiner Frau, der begabten und schönen Sängerin Josefine. Hausgast der beiden war oft Wolfgang Amadeus Mozart. Josefine hat ihn mit ihrer kristallreinen Stimme und ihrem persönlichen Liebreiz bald in ihren Bann gezogen, und so kam er gern und immer wieder. In der Bertramka komponierte er die Oper »Don Giovanni«, und es heißt, daß sie erst ganz kurz vor ihrer Uraufführung im Prager Ständetheater im Jahre 1787 fertig geworden ist. Die Ouverture schrieb Wolfgang Amadeus tatsächlich im letzten Moment. Sie wurde von den Musikern sozusagen noch warm, jedenfalls vom Blatt (Notenblatt) ohne vorangegangene Probe gespielt – und erntete beim Prager Publikum jubelnden Beifall. Auch Mozarts berühmte Arie »Bella mia fiamma« entstand in der Bertramka für die bezaubernde Josefine.
An dem Haus, in dem ich wohne, haftet nichts Idyllisches oder Romantisches. Hier sausen ungezählte Autos vorbei, unter meinem Balkon schrillt die Straßenbahn, zerreißen Sirenen von Ambulanzwagen die Luft. Aber wenn ich mein breites Fenster an der Hofseite öffne, und in der hohen Pappel davor zaust der Abendwind das Blättermeer in ihrer Baumkrone und schüttelt die Stare und Spatzen aus demSchlaf, dann vermeine ich manchmal in besonderer Stunde, die weiche Stimme von Violinen zu hören und eine glockenklare Frauenstimme. Mozart ist in meiner Nähe geblieben.
In Prag kann man noch immer mit offenen Augen träumen.
Zu den Möbeln in meinen beiden Zimmern und in der Wohnküche habe ich keine besondere Beziehung. Stammt doch kein Stück von meinen Großeltern oder von meiner Mutter. Aber ich habe mich an sie gewöhnt und sie sich wohl auch an mich, und wir kommen recht gut miteinander aus. Einen Gegenstand gibt es allerdings, mit dem ich mich besonders verbunden fühle: das ist meine alte, vorsintflutlich anmutende Continental-Schreibmaschine, längst schon ein Museumsstück, allein noch immer mein verläßlicher und geduldiger, verständnisvoller Arbeitskollege. Kurz nach meiner Heimkehr aus dem Exil hat mir ein Freund, der inzwischen gestorben ist, das liebe Ding »einstweilen« geliehen. Er meinte fraglos, ehe ich mir etwas Besseres anschaffen würde. Das ist nun schon gute fünfzig Jahre her. Man bedenke, wirklich ein halbes Jahrhundert! Meine Continental hat mir die ganzen Jahre der sogenannten Normalisierung nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 brav bei meinen Übersetzungsarbeiten gedient, ich tausche sie für keinen Computer ein und habe auch dieses Manuskript auf ihr getippt. Man hat mir schon beachtliche Beträge für mein kurioses Instrument angeboten. Aber einen Freund verkauft man doch nicht.
Neben der Schreibmaschine ist es die Bücherwand, mit der ich gleichfalls in persönlicher Beziehung stehe. Bücher haben die Eigenschaft, sich selbsttätig zu vermehren. Sie kommen mit der Post, jemand bringt sie mit, sie werden einem bei verschiedenen Gelegenheiten geschenkt. Dazu gesellen sich dann noch die von Streifzügen durch Buchhandlungen und Antiquariate, für die man freilich schon persönlich verantwortlich ist.
In meiner Bücherwand stehen Bände, die in meinem Kopf den gemeinsamen Titel »die Prager« haben. Die meisten vonihnen sind tschechisch geschrieben und werden von mir auch so angesprochen. Denn mit meinen Büchern plaudere ich mitunter.
Nicht ganz leicht fällt mir so ein Gespräch mit einem der prominentesten Autoren der dreißiger Jahre, mit Karel Čapek. Der leichte und dabei so kunstvolle Ton seiner Bücher sagte mir zu, flößte mir zugleich eine gewisse Scheu ein. Wie kann man bloß alles so einfach und dabei so treffend sagen! In den Krisenjahren kurz vor dem Krieg sah ich im Nationaltheater Čapeks »Weiße Krankheit« und »Die Mutter«. Dieses Stück sogar zweimal, denn es wurde auch im Prager Neuen Deutschen Theater aufgeführt, mit der aus dem Dritten Reich emigrierten wunderbaren Tilla Durieux in der Hauptrolle. Und als Čapeks Herz Ende 1938 der Hetze gegen ihn persönlich und unsere Tschechoslowakei unterlag, nahm ich an seinem Begräbnis teil und berichtete darüber für die deutsche Version der Monatsschrift Internationale Literatur in Moskau.
Nach Adolf Hoffmeisters Büchern greife ich gern. Seine lebhafte und witzige Schreibweise ruft bei mir die Erinnerung an das vielversprechende und so jäh beendete gemeinsame Leben in unserem Pariser Maison de la culture wieder wach.
Und so spricht mich jedes Buch anders an. Zum Beispiel die Reihe mit Norbert Frýd, einem
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