Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo
sein muß, und kann dagegen nichts tun. Aber ich weiß, daß du zurückkommen wirst, Darinka, und ich werde hierbleiben und auf dich warten.«
Er sagte das mit so überraschender Sicherheit, mit so jäher Freude in der Stimme, daß das Mädchen in seinen Armenerbebte. Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter und hob es erst nach ein paar Atemzügen wieder.
»Bleib hier, Michal, wenn du dich dazu entschlossen hast. Aber auf mich warte nicht zu sehr«, bat sie mit leiser Stimme. Sie schlang beide Arme um seinen Hals, küßte ihn, legte für einen Augenblick ihr Gesicht an das seine, machte sich dann jäh los und lief schnell davon.
Michal Racek ging ihr nicht nach. Langsam setzte er seinen Weg zur Straßenbahnhaltestelle fort. Als er dort ankam, warf er ein Heftchen mit gelben, rosa und hellgrünen Blättern in den verbeulten Abfallkorb. Dann stieg er in den leeren Wagen ein und sagte dem erstaunten Schaffner:
»Eine unheimliche Nacht. Aber morgen wird es schon besser sein, und ich werde umziehen. – Haben Sie auch einen Hausengel?«
Das halbe Gesicht
Als Hanna aus dem Auto stieg, das sie in den kleinen Badeort gebracht hatte, und sich ein wenig zögernd, ein wenig besorgt, zugleich aber auch neugierig umblickte, sah sie Grasflächen, blühendes Buschwerk und hohe respekteinflößende alte Bäume. Dazwischen schien Ruhe in der Sommerluft zu flimmern. Ein Kurpark, der Erholung versprach.
Das stattliche Gebäude, das sie kurz darauf betrat, war das Kurhaus, in dem sie nun einen ganzen Monat verbringen sollte, um ihr ein bißchen angegriffenes Herz wieder auf die notwendigen vollen Touren zu schalten.
In der etwas düsteren, braun getäfelten und mit bequemen Möbeln ausgestatteten Empfangshalle wimmelte es von Menschen. Manche hatten kleinere oder größere Koffer bei sich, die waren gerade angekommen oder sollten gerade abfahren.
Eine Frau schleppte einen fast völlig gelähmten Mann durch die Menge. Hinter diesem Paar eilte ein älteres mageres Männchen gleich den beiden zum Aufzug. Hanna fiel die seltsame Kopfhaltung dieses Menschen auf. Sein Gesicht zuckte von einer Seite zur anderen, sonderbar unruhig, wie aufgescheucht. Man bekam es nie ganz zu sehen.
Kümmere dich erst einmal um deine eigenen Angelegenheiten, ermahnte sich Hanna und wandte sich wieder dem Empfangszeremoniell zu. Du bist, wie dir empfohlen wurde, zur Erholung hergekommen, und auch die Menschen ringsum sind Patienten. Manchen von ihnen sieht man eben ihr Gebrechen an. Ähnlichen Überlegungen konnte sie jedoch nicht weiter nachhängen, denn in diesem Augenblick wurde sie von einem Knäuel wild schnatternderälterer Damen beiseite gedrängt, die ungeduldig in das Innere des Gebäudes eilten.
»Das ist die erste Schicht für das Mittagessen«, erklärte die freundliche Empfangsdame, als das Ungestüm der hungrigen Kostgängerinnen Hanna an einigen Wartenden vorbei unvermittelt zu ihrem Pult heranschob.
Gleich darauf bekam sie ein Zimmer zugeteilt und wurde informiert, daß sie früh, mittags und abends zur zweiten Schicht im Speisesaal erscheinen solle. Dort werde man ihr einen Platz zuweisen.
Hanna war erleichtert, nicht mit der Gruppe der so resolut vorwärtsstürmenden Eßbegierigen ihre Mahlzeiten einnehmen zu müssen.
Das Zimmer, in dem sie nun einzog, war nicht schlecht. Sein Fenster ging in den schönen Kurpark, man blickte auf Baumkronen, ein ganz kleines Amphitheater, noch mehr Baumkronen und ein Stück Himmel. Nachdem sie auf einer Konsole ihre Bücher, einen kleinen Wecker und ein winziges Rundfunkgerät installiert hatte, sah sie sich in ihrer derzeitigen Behausung fast zufrieden um. Hier konnte sie gut und gern ein paar geruhsame Wochen verbringen, die dem Herz bekommen mußten. Als sie ihre Kleider im Schrank unterbrachte, fiel ihr mit einemmal auf, daß es in dem Zimmer weder ein Telefon noch eine Klingel gab. Der Kontakt für letztere hing, offenbar herausgerissen, traurig von der Wand. Ihr stets gegenwärtiger Hausengel flüsterte ihr sofort beruhigend zu, daß sie ja diese beiden Einrichtungen gar nicht benötigen werde; sie war doch zur Erholung hergekommen und nicht in Erwartung eines Rezidivs. Dennoch meldete sie diesen Mangel der freundlichen Empfangsdame in der braungetäfelten Halle. Die lächelte liebenswürdig und versicherte, darüber schon lange Bescheid zu wissen. Hanna solle ruhig bleiben und sich vor allem keine Sorgen machen. Da gab es nichts anderes, als diesen Rat zu befolgen. Sie blieb ruhig und
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