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Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
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...« Mehr wagte Michal Racek jedoch nicht zu fragen.Er stieß nur mit einem Seufzer hervor: »Es wird euch sicher ein bißchen komisch vorkommen, aber man könnte euch beinahe beneiden, selbst um eure Sorgen, einfach um das Ganze.«
    »Dann aber auch um unsere Aufgaben«, fiel ihm der polnische Augenarzt Jussek streng ins Wort, »die bilden nämlich die Basis unseres Zusammenseins.«
    »Selbstverständlich«, stimmte ihm Michal erschrocken zu, »das kann ich natürlich verstehen.«
    »Klar«, eilte ihm Mirek zu Hilfe, »Sie haben ja auch schon Verschiedenes davon kennengelernt.«
    Doktor Jussek zog erstaunt die Augenbrauen hoch, konnte für den Gast offensichtlich dennoch keine Sympathie aufbringen, sagte aber nichts mehr, zumal Vera in diesem Augenblick eine Schüssel mit etwas Kleingebäck auf den Tisch stellte, was allgemeine Begeisterung hervorrief.
    »Wirst du uns das auch nicht morgen von der Brotration abziehen?« erkundigte sich Pavel vorsichtig.
    »Keine Angst. Die waren ›ohne‹. Weil ich der kleinen Denise von der Bäckerin einen losen Zahn gezogen habe.«
    Michal suchte mit den Augen Darinka. Sie saß still auf einer der Matratzen. Als sie seinen Blick auffing, nickte sie ihm kaum merklich zu. Das wärmte ihn, gleichzeitig entging ihm der gespannte Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht. Worauf wartete sie? Oder erwartete sie etwas von ihm?
    »Ich will nach meinem Patienten sehen«, sagte er und stand auf.
    »Nicht notwendig.« Miriam hielt ihn zurück. »Ich war gerade wieder oben. Er schläft wirklich ganz ruhig. So hat er schon lange nicht geschlafen.«
    So hat er schon lange nicht geschlafen. Sie mußte ihn wohl sehr lieben, wenn es auch durch einen so gewöhnlichen Satz durchklingen konnte. So wie Darinkas: »... und ich lebe hier, und vielleicht bin ich es gar nicht ...«
    »Es ist schon spät. Ich habe noch eine Ampulle, die ich hierlassen kann, falls sie noch nötig wäre. Vielleicht könnte die Frau Kollegin oder ...«
    »Warum haben Sie es so eilig? Die letzte Straßenbahn fährt erst um halb eins. Wir würden Sie gern für die Nacht bei uns behalten, aber das Haus ist leider voll besetzt. Bleiben Sie wenigstens noch eine Weile.«
    »Danke, sehr gern.«
    Schon wollte Michal Racek gestehen, daß er sich hier auch auf den nackten Fußboden legen würde, nur um nicht in das Zimmer mit den dicken Rosen an der Wand zurückkehren zu müssen, da bellte in der nächsten Umgebung ein Hund. Alle horchten auf.
    »Ich schau mal nach.« Václav, einer der »drei Musketiere«, lief hinaus. Die Unterhaltung im Zimmer ging weiter, allerdings leiser, alle waren auf der Hut. Darinka erhob sich von ihrer Matratze, trat neben Michal und fragte:
    »Nun? Gefällt es dir bei uns?«
    Er nickte wortlos, hätte sich um nichts in der Welt zu seinem unbestimmten Gefühl einer gewissen Überrumpelung bekennen können. Warum hatte ihn Darinka mit keinem Wort auf die immerhin riskante Begegnung mit der ganzen Gruppe vorbereitet? Hatte sie immer noch kein volles Vertrauen zu ihm? Er hatte ihr freilich auch nicht gesagt, daß er jetzt wirklich wegfahren sollte. Sogar schon übermorgen ... Wird er übermorgen wegfahren? Aber falls nicht ...
    Auf dem Korridor wurden Stimmen laut. Mirek eilte hinaus. Im nächsten Augenblick kehrte er zurück und brachte Kurt und einen hochgewachsenen Mann mit, den Michal Racek schon unter dem Namen Gaston kennengelernt hatte. Es gab eine allgemeine, ziemlich geräuschvolle Begrüßung.
    »Freunde!« Der kleine Doktor Jussek pochte wütend auf den Tisch. »Und Diego? Ein bißchen Rücksicht, wenn ich bitten darf. Ich kann euch wirklich nicht verstehen.«
    Sofort wurden alle stiller, man merkte ihnen freilich an, daß ihnen die ständige Schulmeisterei ihres Krakauer Freundes beträchtlich auf die Nerven fiel. Kurt ging auf Michal zu.
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie sich Diegos angenommen haben, Doktor. Er verdient es weiß Gott, daß wir uns um ihn kümmern, sogut es geht.«
    »Ich hatte keine Ahnung, zu wem ich gerufen werde, als mich Darinka hierherführte.«
    »Schön, daß Sie trotzdem gekommen sind. Wenn ich Ihnen aber jetzt sage, daß Diego vor ein paar Jahren in Brasilien einen Aufstand ärmster Indianer gegen ihre brutalen Gutsherren angeführt hat, daß er sich dann mit ihnen im Dschungel verbergen mußte und auf schwierigen Wegen nach Europa gekommen ist, um sich in Spanien am Kampf gegen Franco zu beteiligen, dann werden Sie bestimmt verstehen, daß Sie einen zumindest

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