Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo

Titel: Zu Hause in Prag - manchmal auch anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerova
Vom Netzwerk:
einmal, schon ein wenig ungeduldig und sehr angstvoll fragte:
    »Na, Mirek, wie steht es mit Diego?«
    »Der Doktor hat ihm eine Injektion gegeben, damit die Schmerzen aufhören. Hoffentlich schläft er jetzt ein. Miriam ist bei ihm geblieben.«
    Michal Racek spürte, daß nun er etwas sagen mußte. Dabei war ihm ganz seltsam zumute. Er hatte mit einemmal das Gefühl, jetzt überhaupt nicht im Marseille der Schifffahrtsgesellschaft, der Flüchtlinge, der Angst und der Polizeipräfektur zu sein, sondern jäh in einer anderen Welt, von der die alltägliche Marseiller keine Ahnung hatte. Auch Darinka war hier anders. Es schien ihm plötzlich beinahe ungehörig, daß er sie küssen wollte, unwahrscheinlich, daß er mit ihr in dem kleinen Café Zwieback mit Marmelade aß, daß sie gemeinsam durch das Hafenviertel gestreift waren.
    Sie schien seine Verlegenheit zu spüren, denn plötzlich sagte sie:
    »Was hast du festgestellt, Michal? – Doktor Racek ist nämlich Magenspezialist.«
    »Allem Anschein nach handelt es sich um ein Magengeschwür. Euer Kranker braucht absolute Ruhe und strenge Diät. Falls keine Verschlechterung eintritt, muß er vorläufig nicht in ein Krankenhaus.«
    »Na, Gott sei Dank! Das hätte uns gerade noch gefehlt. Aber was für eine Diät braucht er? Mädchen, könnt ihr das schaffen?«
    »Du hast aber Fragen, Pavel«, erregte sich die kleine Deutsche, die seine Frau war. »Natürlich schaffen wir das, nicht Vera?«
    Die Frau mit dem blassen Gesicht nickte. »Selbstverständlich. Sie müssen uns nur sagen, was Diego braucht, Herr Doktor, und wir werden es schon besorgen. – Jetzt aber kochen wir Ihnen erst einmal einen Tee, damit Sie sich etwas erwärmen. Es ist ja hundekalt hier.«
    Sie stand auf und ging hinaus, ehe Michal einwenden konnte, daß er nichts brauchte und daß ihm auch überhaupt nicht kalt sei. Lotte sprang auf und holte Tassen, von denen jede offensichtlich anderer Herkunft war.
    »Soll ich euch helfen?« rief ihr der Mann mit der gefurchten Stirn nach.
    »Wasser braucht man doch nicht zu schälen«, klang es aus der Küche zurück.
    »Jussek ist nämlich unser Fachmann für Kartoffelschälen«, erläuterte Darinka und fügte hinzu: »Möchtest du Michal nicht etwas näher mit unserer Mannschaft bekannt machen, Mirek?«
    »Aber natürlich, verzeihen Sie! Aus mir wird nie ein gesellschaftsfähiger Mensch. Also, wo soll ich beginnen? Neben Ihnen sitzt Jussek, sozusagen Ihr Kollege, ein Augenarzt aus Krakau; Darinka kennen Sie, Pavel vielleicht auch schon. Unsere ›drei Musketiere‹ heißen Václav, Milan und Jan, nebenbei Ihre Landsleute. In der Küche regiert Veraaus Bessarabien, im Nebenberuf Zahnärztin. Deshalb haben wir sie auch zu unserem Verpflegungskommissar ernannt, das kam uns irgendwie logisch vor.«
    Michal Racek ging von einem zum anderen und reichte jedem die Hand. Dabei bemerkte er, daß es neben dem großen Tisch und etlichen verschiedenartigen Stühlen auch hier mehrere zusammengerollte Matratzen gab, auf denen man tagsüber ganz bequem sitzen konnte. Nachts bedeckten sie wahrscheinlich den ganzen Fußboden. Unwillkürlich mußte er an sein Zimmer mit einem richtigen Bett und der hoffnungslosen Verlassenheit denken. Das war eine so beklemmende Vorstellung, daß er sich zusammennehmen mußte, um nicht zu bitten: Schickt mich dorthin nicht mehr zurück, laßt mich hier bei euch! Aber es gelang ihm, diesen unsinnigen Wunsch zu unterdrücken.
    Als die Mädchen den Tee brachten, der »zwar nicht echt, dafür aber heiß und gesund« war, wie Mirek versicherte, schlüpfte Miriam ins Zimmer und berichtete erleichtert: »Er schläft.«
    Alle blickten Michal anerkennend an. Da entschloß er sich zu der Frage, die ihn die ganze Zeit beschäftigte:
    »Wie ist euer phantastisches Zusammensein in diesem Haus zustande gekommen?«
    »Keine schlechte Gesellschaft, wie?« Mirek musterte zufrieden seine Gefährten und erklärte: »Einige von uns waren auf seiten der spanischen Republik in den Internationalen Brigaden. Deshalb ist Spanisch neben unperfektem Französisch unsere gemeinsame Hauptsprache. Ein paar andere sind emeritierte Zuchthäusler oder KZ-Häftlinge. Zu denen zählen zum Beispiel Darinka und hier Pastor Jan. Kurz, lauter sogenannte gefährliche und zugleich gefährdete Elemente.«
    »Und dieses Haus?«
    »Requiriert«, sagte Pastor Jan lachend. »Es stand leer, war nur von Mäusen bewohnt. Die haben wir an die frische Luft in der freien Natur umgesiedelt.«
    »Und

Weitere Kostenlose Bücher