Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
kühle Nachtluft zu spüren, und die rauschende Brandung würde ihr ein Gefühl von Weite, von Offenheit geben.
»Red?«
Sie lief weiter. Es gab zwar Intelligenteres, als vor einem der wenigen Menschen davonzulaufen, denen sie sich offenbaren wollte, aber kaum am Strand angekommen, kickte sie dennoch die Sandalen weg und rannte weiter, mit festen, schnellen Schritten und bemüht, nicht zurückzublicken.
6
Joe blickte Summer hinterher; immerhin war er heute Abend so klar bei Verstand, dass er das Glitzern der Tränen in ihren Augen und ihre stockende Atmung registriert hatte.
Aber es ging ihn ja nichts an. Sie ging ihn nichts an. Und während er sich das sagte, trat er noch einen Schritt auf die Eingangstür von »Creative Interiors II« zu. »Ach, zum Teufel.« Er drehte sich um und sah noch kurz, wie Summer in die Nacht davonlief – als wäre ihr der leibhaftige Teufel auf den Fersen. Das leichte weiße Sommerkleid hob sich ab von ihrer sonnengebräunten Haut, und wenn sie die Hacken hochwarf, glänzte der Stoff im Mondlicht.
Nicht sein Problem.
Und trotzdem ging er nicht hinein. Er stand da und ermahnte sich, keinen weiteren in einer ganzen Reihe ähnlicher Fehler zu begehen, die er mit zunehmendem Geschick anhäufte.
»Du Idiot«, sagte er leise und überquerte die Straße in Richtung Strand. Als er den Sand unter sich spürte, zog er die Schuhe aus. »Gestern ein Arsch, heute ein Idiot.«
Zwar arbeitete er nicht mehr als Feuerwehrmann, aber er hatte sein Fitnesstraining nicht aufgegeben. Wenn ihm die Zeit blieb, joggte er morgens mehrere Kilometer, wenngleich er das schweißtreibende Gerenne im Grunde nicht ausstehen konnte. Trotzdem musste er einen gehörigen Zahn zulegen, wenn er Summer einholen wollte, die mit langen, gleichmäßigen Schritten lief.
Bis auf den einen oder anderen Sportverrückten, der zu dieser späten Stunde noch im Dunkeln joggte, war der Strand leer. Nach rund einem Kilometer lief Summer – Gott sei Dank! – langsamer. Schließlich blieb sie abrupt stehen, schwer atmend wie ein Rennpferd, mit gesenktem Kopf, die Füße im Wasser, während die Wellen ihre Fußspitzen umspülten.
Er kam neben ihr zum Stehen und ließ ebenfalls das kühle Nass an die Füße. Er rang nach Luft und beugte den Oberkörper.
»Du bist ein besserer Läufer als damals«, sagte sie.
Er lachte nach Atem ringend. »Das bleibt nicht aus, wenn man über dreißig Kilo abnimmt.«
Sie neigte den Kopf und sah ihn an, wie er dort im Mondlicht stand. Die Wellen brandeten an den Strand, aber ansonsten war es völlig still. Die Ruhe vor dem Sturm.
»Ich habe dich nie für fett gehalten«, antwortete sie leise.
»Da bist du aber die Einzige – wenn du überhaupt meinst, was du sagst.«
»Du hast mir gefallen, so wie du warst.«
»Tatsächlich?« Immer noch demütigend schwer atmend, nahm er einen Kiesel und schleuderte ihn in die Brandung. »Da hattest du aber eine merkwürdige Art, mir das zu zeigen – einfach wortlos eine jahrelange Freundschaft aufzukündigen; du hast dich nicht einmal mit ›Du kannst mich mal, Joe‹ verabschiedet.«
Sie schloss – verschloss – die Augen vor dieser Antwort. »Würde es helfen, wenn ich dir sagte, dass ich mein Verhalten bereue?«
»Eigentlich nicht.«
Sie schlug die Hände vor die Augen. »Ich hätte mehr als zwei Gläser Sekt trinken sollen.« Dann seufzte sie und sah ihn an. » Warum würde dir das nicht helfen?«
»Weil das alles Ewigkeiten her ist.« Er hatte die Trennung verwunden. Größtenteils. »Wir waren noch Kinder.«
»Ja. Kinder.« Sie wackelte mit den Zehen, darunter der mit dem kleinen Kristallring – was unglaublich sexy aussah.
»Du hast weitergemacht mit deinem Leben«, sagte er. »Und dann habe ich es auch.«
Sie nickte, betrübt, und obwohl er nicht wusste, warum, verspürte er den Wunsch, sie in die Arme zu schlie ßen. Er wollte ihr den Schmerz wegstreicheln. Zwar wollte er noch etwas anderes, aber das wäre der größte aller Fehler, da er sich bei Summer nie mit nur einer Berührung zufriedengeben würde. »Was ist eigentlich auf der Einweihungsparty passiert?«
»Nichts.«
»Nichts hat dich zum Weinen gebracht?«
Die Wellen glitzerten weiß und schaumig im Mondlicht; Summer hielt den Blick weiter aufs Meer gerichtet.
»Es sah aus wie eine Panikattacke.«
»Mach dich doch nicht lächerlich.«
»Hat dir jemand wehgetan?«
»Nein.«
»Hat jemand etwas Böses zu dir gesagt?«
»Nein.«
Langsam wünschte er, er hätte zwei
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