Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
nächtliche Besuche befürchten zu müssen.
Meiner Mutter gelang es nicht so gut, ihre Kerle von mir fernzuhalten, wie sie
dachte. Wenn sie wieder einen neuen Typen mit nach Hause brachte, gewöhnte ich
mir an, einen alten Klappstuhl aus Metall, den ich im Abfall des Nachbarn
gefunden hatte, unter die Türklinke zu klemmen. Der warnte mich, wenn er
umfiel, und weckte meine Mutter. »Jimmmmie?«, rief sie den Flur hinunter. Oder
Jooooe oder Jaaaake oder wie auch immer. »Bist du das, Schatz? Komm zurück ins
Bett.« Dann entfernten sich die Schritte. Vorausgesetzt, Momma wurde wach. Mehr
als ein Mann lernte, dass er mir nicht zu nahe kommen durfte. Zum Glück lieÃ
sich Momma nicht mit den besonders harten Fällen ein, die sich auch nicht von
einem Mädchen mit lauter Stimme und einem Messer in der Hand hätten abschrecken
lassen.
Bei meinen Kindern passte ich auf. Meine Tochter wusste, dass sie zu
Hause sicher war, und mein Sohn, dass er sich bei mir immer Rat holen konnte.
Dennoch machte er mir im Moment Sorgen.
Miss Isabelle und ich vertraten uns kurz die Beine, dann setzten wir
uns auf eine Bank, um noch ein bisschen frische Luft zu schnappen.
»Ich glaube, du bist eine gute Mutter, Dorrie. Aber meinst du, es
funktioniert? Die Dinge einfach nur anders zu machen als deine Mutter?«
Im ersten Moment erschütterte mich die Frage, doch schon im nächsten
wurde mir klar, dass sie mich damit nicht angreifen wollte. AuÃerdem hätte ich
ihr dieselbe Frage stellen können. Sie sprach nie über ihren Sohn, aber ich
hatte ein Foto von ihm gesehen. Es stand direkt neben dem Fingerhut, wie auch
ein Familienporträt, als er noch klein war. Er starb, bevor ich Miss Isabelle
kennenlernte. Vielleicht war es für sie zu schmerzhaft, über diesen Verlust zu
reden.
Ich dachte einen kurzen Augenblick nach, bevor ich antwortete.
»Mein kleines Mädchen ist mein ganzer Stolz«, sagte ich schlieÃlich.
»Die Mittelstufe in der Schule ist das Allerletzte, aber sie schreibt gute
Noten und lässt sich nicht von den anderen Mädchen beeinflussen. Noch nicht.«
BiBi mit ihrer komischen Brille und ihrer Weigerung, so verlottert
herumzulaufen wie ihre Klassenkameradinnen. Manchmal lieà sie sich sogar noch
die Haare von mir machen.
Sie war wie ich, nur cleverer. Hoffentlich würde sie
Durchhaltevermögen beweisen. Heutzutage war das gar nicht so leicht.
»Stevie junior ist seinem Vater sehr ähnlich. Kommt bei den Frauen
an, ein guter Junge, obwohl er mit Steve kein leuchtendes Vorbild hat.«
Er stand unmittelbar vor dem Schulabschluss. Bald würde er auf der
groÃen Bühne sein Zeugnis entgegennehmen â Highschool-Abschluss in der zweiten
Generation!
Leider hatte ich in letzter Zeit mehrfach Anrufe von der Schule
bekommen, dass er nicht im Unterricht erschienen war. Und Briefe, in denen
Nachhilfe empfohlen wurde.
Seine Freundin Bailey war nett und höflich. Mrs Curtis hier und Mrs
Curtis da, selbst noch, als ich ihr gesagt hatte, sie könne mich Dorrie nennen.
Aber seit einiger Zeit machte sie ein langes Gesicht. Den Ausdruck kannte ich.
Sie wollten gemeinsam auf den Abschlussball, doch es war Wochen her, dass ich sie
das letzte Mal von ihrem Kleid oder Stevies Smoking hatte schwärmen hören.
»Ich glaube, die Freundin meines Sohnes ist schwanger«, platzte ich
heraus. Zum ersten Mal hatte ich meine Vermutung laut ausgesprochen.
Das war der Hauptgrund für meine Flucht.
»Oje, Dorrie, das tut mir leid.« Sie sah zum Parkplatz, wo eine
Familie aus einem Wagen kletterte. Sie war so lange unterwegs gewesen, dass die
lieben Kleinen laut kreischend herumrannten, um die überschüssige Energie
loszuwerden. Die erschöpften Eltern verteilten Drinks und Chipstüten und
brachten die Kinder zur Toilette, bevor sie sich übers Picknick hermachten.
»Manchmal kommt der Nachwuchs zur falschen Zeit. Trotzdem kann er ein Segen
sein, wenn man ihn mit Liebe annimmt.«
»Stimmt, Miss Isabelle«, pflichtete ich ihr bei. Auch wenn sich
meine Ahnung in puncto Baileys Schwangerschaft bestätigen sollte: Ich konnte
mir kein Urteil erlauben. SchlieÃlich war Stevie junior zwei oder drei Jahre
früher auf die Welt gekommen, als ich mir das hätte träumen lassen. »Fehlt
Ihnen Ihr Sohn?«
Sie lieà sich Zeit mit der Antwort. »Man möchte meinen, dass der
Schmerz über den Verlust eines Menschen
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